Die Versöhnung zwischen Saudi-Arabien, dem Führer der sunnitisch-muslimischen Welt, und dem Iran, dem Führer der schiitisch-muslimischen Welt, macht endlich eine Ära des Friedens im Nahen Osten möglich. Sie wurde von Russland, einem Verbündeten der beiden feindlichen Brüder, ermöglicht und zuerst im Irak und im Oman verhandelt, bevor sie von China, einem tausend Jahre alten Verbündeten des Iran, abgeschlossen wurde, ohne aber parteiisch zu handeln. Dieses Abkommen beendet elf Jahre Krieg und westlichen Einfluss.
Analysen: 15.-22.3.23: Dominoeffekt Weltfinanzkrise – Was kommt 2023 auf uns zu?/ Die amerikanische Spekulationsblase ist geplatzt/ Pepe Escobar: Sergey Glazyev: "Der Weg zur finanziellen Multipolarität wird lang und steinig sein."/ Thierry Meyssan
Eine Analyse von Elem Chintsky
Der Beginn der Woche war erfasst von einer turbulenten Erwartungshaltung innerhalb der US-Finanzmärkte und der mit ihr verdrahteten Volkswirtschaften weltweit. Hinzu kam die Bekanntgabe des Finanzbewertungsunternehmens Moody’s Investors Service am Montagabend, dass sie dem US-Bankensektor die bisherige Bewertung "stabil" auf "negativ" herabsetzten, aufgrund eines "sich rapide verschlechternden betrieblichen Umfelds".
Am 10. März 2023 kollabierte nämlich die Silicon Valley Bank mit bis dahin verwalteten Vermögenswerten von insgesamt 210 Milliarden US-Dollar. Ein Bankensturm früh alarmierter Investoren brachte die Finanzeinrichtung schnell zu Fall. Dass Investoren überhaupt aufmerksam wurden und versuchten, ihr Kapital zu retten, war einem Sturz der Aktie (SIVB) des Mutterunternehmens SCV Financial Group am Donnerstag um minus 60 Prozent geschuldet. Einer der Investoren, der vorsorglich sein Kapital abheben konnte, war der bekannte PayPal-Mitbegründer, IT-Milliardär Peter Thiel – wie viel Kapital er rechtzeitig in Sicherheit brachte, ist zurzeit noch nicht bekannt.
Zur selben Zeit meldete die Silvergate Bank, die sich auf Kryptowährungsanlagen spezialisierte, den Bankrott an.
Heute ist bekannt, dass bereits zum Ende des Jahres 2022 Kapital im Wert von 25 Milliarden US-Dollar bei der Silicon Valley Bank abgehoben wurden. Anfang des Jahres wurden weitere zehn Milliarden US-Dollar aus dem System der Bank herausgeführt. An dem erwähnten Donnerstag, am Tag vor dem Kollaps, sollen weitere 45 Milliarden US-Dollar die Bank verlassen haben.
Gegenwärtig sind weitere zehn bis 20 US-Banken wahrscheinliche Kandidaten für baldige Bankrotte. Dazu gehören unter anderem Ally Financial Inc., Prosperity Bancshares Inc. und die First Republic Bank mit ihren antizipierten Wertpapierverlusten.
Hiernach wird nach dem sogenannten negativen "AOCI", also dem "Accumulated Other Comprehensive Income" diskriminiert. Ein finanzieller Indikator, der auf Deutsch folgendermaßen definiert werden könnte: Beim AOCI handelt es sich allgemein um nicht realisierte Gewinne und Verluste eines Finanzkonzerns, abzüglich darauf entfallender latenter Ertragsteuern, die prozentual erfasst werden. Diese "nicht realisierten Gewinne und Verluste" werden in einer separaten Position des Eigenkapitals, also dem "Accumulated Other Comprehensive Income" (AOCI), dargestellt. Ist dieser Indikator aber im Negativen, kann von einem erhöhten Finanzrisiko gesprochen werden, da hoher Verdacht auf Wertpapierverlust besteht. Das Liquiditätsrisiko wächst umso mehr, wenn der Indikator über die Stränge eines Quartals im Negativen verbleibt und Wertpapierverluste der betroffenen Bank im Verhältnis zum eigentlichen Kapital weiter steigen.
Diese Diskrepanzen wurden beschleunigt und verstärkt durch die andauernden Zinserhöhungen der Fed (Federal Reserve System) der letzten zwölf Monate. Der Preis einer Anleihe für eine Bank steht in umgekehrter Beziehung zu den Zinssätzen einer Zentralbank, sodass ein Anstieg der Zinssätze einen entsprechenden Rückgang des Wertes der Anleihen bedeuten wird. Dementsprechend wird bei einer Zinserhöhung der Fed der Kurs bestehender Anleihen sofort fallen. Bis zuletzt zögerten die Entscheider bei der Bank, diese Anleihen extrem unter Wert zu verkaufen.
Diese multidisziplinären Vorbedingungen waren prominent in der Mutterfirma der Silicon Valley Bank – der SCV Finincial Group – an vorderster Front gegeben. Auch die Signature Bank, etwas weiter unten vom Umfang her, erfüllte diese tragischen Vorkonditionen.
Zum historischen Vergleich: die 2008 verloren gegangenen Vermögenswerte der Lehman Brothers Bank und der Washington Mutual Bank betrugen jeweils 600 Milliarden und 305 Milliarden US-Dollar.
Aufgrund der insgesamt bisher 310 Milliarden US-Dollar an verunglimpften Vermögenswerten berief die US-Fed zusammen mit dem US-Finanzministerium und der Federal Deposit Insurance Corp. (FDIC) eine Notfallsitzung ein, um über die möglichen Lösungsansätze zu beraten. Daraufhin wurde in der Nacht zum Montag eine Erklärung veröffentlicht, in der eine Rettung aller Anlagen zugesichert wurde. Ja, man sprach an anderer Stelle auch davon, dass nur die Kategorie von Anlagen, die "250.000 US-Dollar nicht überschreiten", von der Staatsrettung gedeckt wären. Aber letztendlich wurde in Aussicht gestellt, dass auch die größeren Investoren und Kapitalinhaber entschädigt werden würden. Die Initiative hat auch einen eigenen Namen erhalten: Bank Term Funding Program (BTFP), was auf Deutsch ungefähr "Banken-Terminfinanzierungsprogramm" heißen könnte.
Um die Dimensionen zu den bereits genannten Kapitalverlusten besser zuzuordnen: Der volle Wert der buchhalterisch geführten Vermögen aller Banken in den USA ist zwischen 2002 und 2021 kontinuierlich gestiegen. So beliefen sich ihre Vermögenswerte im Jahr 2021 auf rund 30,2 Billionen US-Dollar—anders dargestellt sind das 30.200 Milliarden US-Dollar. Im Falle eines "Schneeball"-Effektes wäre das ein fundamentaler Systemcrash des westlichen Finanzsystems, der aber auch Länder wie China und andere Volkswirtschaften durchaus tangieren würde.
Von den innerhalb des US-Bankensektors aktiven 30,2 Billionen US-Dollar sind 600 Milliarden US-Dollar explizit "nicht realisierte Verluste", was ein 25-Faches der Verluste darstellt, die die Silicon Valley Bank zum Zerfall brachte.
Die oben genannte FDIC hingegen, die hauptsächlich mit der Verwaltung der Überreste der Silicon Valley Bank betreut wurde, hat lediglich Vermögenswerte von 124,5 Milliarden US-Dollar in ihrer Gesamtbilanz. Hinzu kommen weitere 100 Milliarden US-Dollar, die als Kreditlinie fungieren, also insgesamt 224,5 Milliarden US-Dollar. Die FDIC alleine deckt also lediglich 0,743 Prozent des totalen Volumens an Vermögenswerten des US-Bankensektors und erscheint nur Mittel zu haben, die sich konkret auf die durch die Silicon Valley Bank generierten Verluste beziehen.
Der US-Milliardär Bill Ackman warnte am vergangenen Wochenende über Twitter davor, was passieren würde, wenn die FDIC am Montag sich nicht entscheiden würde, eine systemweite Garantie über den Erhalt der bedrohten Vermögenswerte der kollabierten Banken auszusprechen. Laut seiner Prognose wären die darauffolgenden Tage von einem umfassenden Bankensturm geplagt worden, der das System als Ganzes zum Sturz gebracht hätte. Nun wurde die Rettung der Vermögenswerte zwar ausgerufen, Herr Ackman zufriedengestellt, aber die FDIC mit der Fed haben damit die Entladung des eigentlichen Problems lediglich verzögert.
Nach dem Montagsauftritt des US-Präsidenten Joe Biden zu diesem Thema und seiner Beteuerung, dass "das Bankensystem sicher ist", sind die Aktien der Bankenholding-Gesellschaft Western Alliance und die der First Republic Bank um jeweils dramatische minus 77 Prozent und minus 66 Prozent gefallen. Diese Kursabstürze waren dicht gefolgt von FinWise Bancorp und PacWest, mit jeweils minus 40 Prozent und minus 42 Prozent. Viele Weitere schlossen sich diesem Wert-Abfall an.
Öffentliche Zusicherungen und Beteuerungen befinden sich inzwischen in einer Etappe, in der sie den gegenteiligen Effekt auf dem Finanzmarkt auslösen – zu groß erscheinen die Diskrepanzen über die Aufklärung der Ursachen und die aufrichtige Suche nach den Verantwortlichen.
Internes über die Silicon Valley Bank
Es stapeln sich auch Vorwürfe aufgrund der Tatsache, dass die Silicon Valley Bank neun Monate lang, von April 2022 bis Januar 2023, keinen verantwortlichen Leiter für die Risikobewertung hatte, was Experten – bei einem Finanzinstitut dieser Größenordnung – vermehrt als grob fahrlässig bewerten.
Des Weiteren sei erwähnt, dass die Führung der Silicon Valley Bank – in Anbetracht ihres kürzlichen Totalversagens – in den letzten Jahren die Prioritätensetzung stark verschoben hatte. So gab man der Hauptverantwortlichen für die Umsatzsteigerung (CRO), Jay Ersapah, alle Freiheiten, um wiederkehrende LGBTQ-Initiativen zwischen allen Unternehmensbereichen zu organisieren, wozu auch eine einmonatige Pride-Kampagne gehörte. Während für die Risikobewertung drei lange Quartale lang niemand verpflichtet wurde, was durchaus an ein vorsätzliches Versäumnis grenzen könnte. Nebenbei angemerkt: Diese drei Quartale befanden sich genau in den zwölf Monaten der aggressiven und konstanten Zinserhöhung der Fed, wo das Hantieren und Spekulieren mit Finanzinstrumenten stetig teurer wurde und die oben genannten Verluste weiter ankurbelte.
Andere Länder, gleiche Sitten
Dass es sich um den Kollaps von großen US-Banken handelt, kann auch gemessen werden an den bisherigen Erschütterungen in anderen Volkswirtschaften. Israel hat ungefähr 500 davon betroffene IT-Firmen, – darunter viele Start-ups, aber auch Tech-Größen wie eToro, Verbit oder Capitolis –, die alle versucht haben, ihr Kapital bei der Silicon Valley Bank rechtzeitig abzuheben, bisher vergebens.
Der israelische Fall hat eine politische, fast ironische Dimension: Einige dieser israelischen IT-Unternehmen überwiesen ihr Vermögen aus Protest gegen die Netanyahu-geführten Justizreformen von den ursprünglichen nationalen Banken an die Silicon Valley Bank – einen Monat vor dem Kollaps.
Auch der britische Finanzsektor ist betroffen. Bis zu 300 IT-Firmen werden in circa einem Monat große Liquiditätsprobleme bekommen, wenn die Bank of England und die Sunak-Regierung keine Lösung finden. Schaut man auf den Lösungsansatz der Fed in den USA, so ist zu antizipieren, dass auch London sich entscheiden wird, die Geldmenge zu erhöhen, um eine systemische Garantie beteuern zu können.
Die ersten Symptome sind auch in der Europäischen Union nahezu synchron in Erscheinung getreten. Am Montag verzeichneten europäische Bankgiganten wie Credit Suisse (minus 14 Prozent), Santander (minus acht Prozent), Commerzbank (minus elf Prozent), UniCredit (minus neun Prozent) sowie die Raiffeisen Bank und Deutsche Bank (mit jeweils minus sieben Prozent) seriöse Aktien-Wertverluste. Während am selben Tag der Aktienhandel von mehr als 30 US-Banken schlicht eingestellt wurde.
Die Europäische Zentralbank (EZB) annullierte die Banklizenz der Baltic International Bank (BIB), einer der zehn größten Banken Lettlands. Die BIB war – ähnlich wie Credit Suisse – schon vorher bekannt für ihre ominösen Finanzberatungs- und Investitionspraktiken, was die Frage aufdrängt, weshalb die EZB für solche Einrichtungen überhaupt erst Lizenzen verliehen hat.
Washington D.C., CBDCs und Bitcoin
Der zweitgrößte Stablecoin des Kryptowährungsmarktes, der USD Coin (USDC), hat sich in den letzten Tagen ruckartig vom US-Dollar gelöst und verlor signifikant an Wert. Die eine Aufgabe von Kryptowährungen wie Stablecoins – nämlich stets die Äquivalenz des US-Dollar-Wertes zu halten – ging zunichte. Dabei hatte der USD Coin sogar einen viel verlässlicheren und solideren Ruf als sein marktführender Konkurrent, der USD Tether (USDT) Stablecoin. Es war eher der Letztere, der in den vergangenen Jahren oft in den Krypto-Schlagzeilen wegen Konflikten mit den geldpolitischen US-Aufsichtsbehörden auftauchte und sich nur knapp der Rechtsprechung entzog.
Der Grund für den eingebrochenen USD Coin von 3,3 Milliarden US-Dollar, die als Reserven den USD Coin deckten, waren ausgerechnet in der nun berüchtigten Silicon Valley Bank hinterlegt. Das stellte einen Anteil von fast einem Zehntel der Gesamtreserven dar. Dank der Garantien des US-Staates und seiner verantwortlichen Gremien gehört die Firma Circle, die den USD Coin betreibt, zu denen, deren verlorene Kapitaleinlagen perspektivisch kompensiert werden. Das heißt, ein Zahlungsausfall wurde kurz- bis mittelfristig vereitelt.
Und das, obwohl es erst hieß, dass "unversicherte Anleger" von der staatlichen Rettung ausgenommen werden würden.
Noch am vergangenen Donnerstag kritisierte der stellvertretende Fed-Vorsitzende für Aufsichtsangelegenheiten, Michael Barr, US-Dollar-Stablecoins, die nicht von den US-Behörden beaufsichtigt werden. Die Ironie hier ist, dass ausgerechnet der USD Coin ganz und gar von den Behörden reguliert und als die "sichere Option" favorisiert wurde, was den Aussagen Barrs nachträglich die Glaubwürdigkeit entzieht.
Das Sentiment des Finanzmarktes ist zurzeit durch Furcht und Ungewissheit über das Schicksal der Vermögenswerte definiert. Von Aktien und Fiatwährungen wenden sich die Marktteilnehmer derzeit vermehrt ab, um erneut in alternative Anlagen zu wechseln. Auch die Staatsankündigung, man werde enorme Mengen neuen Geldes schaffen, um die jetzigen Probleme zu bewältigen, führte zu einem sich sichtlich reanimierenden Bitcoin (BTC). Dieser zog auch große Teile des Kryptowährungsmarktes mit sich nach oben. Alleine von Montag (22.000 US-Dollar pro BTC) auf Dienstag (bis zu 24.800 US-Dollar pro BTC) erfuhr die größte Kryptowährung der Welt ein Wachstum von 12,7 Prozent.
Wie der unabhängige Finanzexperte und Autor von "Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs" (2014), Ernst Wolff, am Montag twitterte, sind die jetzigen Prozesse ein rechtsfreier, systemischer Eigentumstransfer. Eine Kapitalmigration, die den Finanzoligarchien der Welt den strategischen Vorsprung geben soll, sich auf das neue System der CBDCs einzustellen und sich langfristig neu zu positionieren. Wolff klassifizierte diesen Prozess als "Plündern", womit die kriminelle Dimension dessen zum Vorschein kommt.
Was ist eine CBDC, oder "Central Bank Digital Currency" (zu Deutsch: "Digitales Zentralbankgeld")? Eine neuartige digitale Währung, bei der der individuelle Besitz der neuartigen Währung auch gleichzeitig ein Konto direkt bei der jeweiligen Zentralbank voraussetzen würde. Beziehungsweise eine Echtzeit-Synchronisierung mit einem "privaten" Bankkonto, auf dem man seine Zentralbank-kontrollierten CBDCs lagert. Es gäbe kein Bargeld-Äquivalent und die Annahme läge sehr nahe, dass alle mit den CBDCs getätigten Transaktionen des Bürgers der Zentralbank – und somit dem Staat – vollkommen transparent wären. Aufgrund der mangelnden finanztheoretischen Aufklärung in der breiten Gesellschaft wird über die offensichtlichen Gefahren und Risiken eines alternativlosen CBDC-Systems nicht ausreichend gewarnt. Gleichzeitig dient das neue, noch stärker zentralisierte Währungssystem der CBDC, das sich bereits in Betriebsbereitschaft befindet – als eine effektive Infrastruktur im Falle eines großen, systemweiten geldpolitischen Resets. Resets erhalten ihre historischen Chancen üblicherweise durch große Finanzkrisen. So wie die, die sich indessen anbahnt und im Begriff ist, unumkehrbar zu werden.
Kampf gegen Inflation erfolgreich beendet?
Nach nun über einem Jahr des Prozesses, den man in der Öffentlichkeit als "Kampf gegen die Inflation" bezeichnete, hoben die Zentralbanken des Westens die Zinssätze stetig an – ohne großen, lindernden Effekt auf die nationalen Inflationsraten in den USA, der EU und weltweit. Während dieselben Institutionen sich jeglicher Geldneuschaffung enthalten haben. Bis jetzt, denn indessen steht die Fed vor einer Gabelung. Die Grundsatzentscheidung bezüglich der Zinsfrage muss geklärt werden. Ehemaliger Fed-Mitarbeiter, Thomas Hoenig, meinte am Dienstag, dass die US-amerikanische Zentralbank trotz des kolossalen Ausfalls die weitere Erhöhung der Zinsrate fortsetzen müsse. Hoenig ist offensichtlich nicht der Meinung vieler anderer Beobachter, dass diese Strategie weitere Banken in die Knie zwingen werde. Sein Hauptargument ist, dass das Inflationsproblem noch nicht gelöst wurde. Hoenig war während der Finanzkrise 2008 für das Fed-Regionalbüro im US-Bundesstaat Kansas verantwortlich.
Noch vor dem Kollaps der Silicon Valley Bank waren sich Finanzexperten und Wirtschaftswissenschaftler einig: Die Fed und die EZB sowie die meisten ihrer Kollegen in anderen Hauptstädten werden die Zinssätze so lange hochhalten beziehungsweise sogar erhöhen, bis eine niedrigere Inflationsrate von ungefähr zwei Prozent erreicht ist.
Mit den jüngsten öffentlichen Erklärungen derjenigen, die die Geldpolitik gestalten, und die geradezu augenblickliche Bereitschaft, Staatsinterventionen einzuleiten und Garantien auszusprechen, drängt sich die Frage auf, ob nicht bald die Geldmittel für solche Maßnahmen ausgehen könnten?
Wird ab einer gewissen Schwelle nicht die Nachfrage nach "quantitativer Lockerung", also der Neuschaffung von Währungseinheiten, die die Geldmenge erneut erweitert, relevant? Was unmissverständlich die Senkung der Zinsrate für Banken zur Folge haben müsste – ganz zu schweigen von dem im Vordergrund weilenden Inflationsproblem. Ähnlich, wie dies in der Pandemie-Krise gehandhabt wurde, als man die Erschütterungen auf dem Arbeitsmarkt, in der retardierenden Produktion und in vielen weiteren Aspekten der damals schwächelnden Weltwirtschaft auf diese Weise versuchte, die Schockwellen zu mindern.
Die mächtigste Zentralbank der Welt steht vor einem fragilen, entflammbaren Dilemma: Mit weiteren Zinserhöhungen riskiert sie einen systemischen Bankensturm. Oder sie kurbelt diese nun zurück und greift auf die altbewährte Geldneuschöpfung zurück und gießt somit Kerosin auf den schon jetzt wütenden monetären Flächenbrand namens "Inflation".
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, wo man noch mehr von ihm lesen kann.
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Am Sonntag wurde der Betrieb der Signature Bank aus New York von den staatlichen Behörden wegen "systemischer Risiken" eingestellt. Die US-Regierung hat den Einlegern ihre Ersparnisse zugesichert. Dies ist bereits die zweite Schließung einer großen US-Bank in jüngster Zeit.
Das California Department of Financial Protection and Innovation hatte neulich beschlossen, die Silicon Valley Bank (SVB) stillzulegen und die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) als Verwalterin einzusetzen. Zur Verhinderung einer Krisensituation wurde eine separate Struktur gegründet ‒ die Deposit Insurance National Bank of Santa Clara ‒, der die Behörden alle versicherten Einlagen der Bank übertragen haben.
Dabei betonte die US-Finanzministerin Janet Yellen, dass die Regulierungsbehörden in der Lage seien, die Situation unter Kontrolle zu halten. Ihr zufolge bleibe das amerikanische Bankensystem stabil.
Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF) äußerten ihre Zuversicht über die Fähigkeit der Politiker aus Washington, die "benötigten Schritte zur Bewältigung der Situation" zu unternehmen. Doch der IWF unterstrich, dass die Angelegenheit mit dem Konkurs der SVB "sehr aufmerksam" verfolgt werde.
Dessen ungeachtet teilen die US-Medien nicht den Optimismus der führenden Ökonomen des Landes und der Welt. Unter anderem schreibt der Online-Nachrichtendienst Axios über die ernsthafte Gefahr einer Krise in den USA, wenn die Regierung von Joe Biden keinen Plan zur Rettung der SVB-Einleger vorlegt. Es wird bemerkt, dass ähnliche Regulierungsmaßnahmen bisher nur während der Krise von 2008 und dem Beginn der Coronavirus-Pandemie angewendet wurden.
Die Parallelen zur Situation des vorletzten Jahrzehnts liegen tatsächlich auf der Hand. Damals wurde der Zusammenbruch der US-Wirtschaft durch den Konkurs der großen Investmentbank Lehman Brothers verursacht. Die Schulden des Finanzriesen erreichten 613 Milliarden Dollar.
Der Kollaps des Unternehmens zog multinationale Banken wie Bear Stearns, Merrill Lynch, Goldman Sachs und Morgan Stanley nach sich. Auch die führenden Hypothekeninstitute Fannie Mae, Freddie Mac und AIG waren betroffen.
Bemerkenswert ist, dass die Insolventen bis zum letzten Moment mit der staatlichen Unterstützung gerechnet haben. Dann begannen die Behörden, enorme Mittel in die Volkswirtschaft einzuspeisen, was allerdings zu einem raschen Anstieg der Auslandsschulden des Landes führte. Mit den Folgen haben die USA bis heute zu kämpfen.
Die Vereinigten Staaten waren 2008 einfach nicht in der Lage, eine qualitative Lösung für die Krise anzubieten. Vielmehr übernahmen die Bank of America und die Chase Manhattan Bank die Funktionen von Lehman Brothers, und das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit neuer Exzesse weiterhin besteht.
Das US-Finanzsystem als Ganzes befindet sich in einem ziemlich prekären Zustand. Wall-Street-Giganten wie BlackRock, Wells Fargo und Neuberger Berman erklärten bereits im Januar, dass die Wirtschaft in diesem Jahr eine Rezession erleben könnte.
Dow Jones berechnete, dass der US-amerikanische S&P 500 Index am 1. Juli letzten Jahres innerhalb von sechs Monaten 21 % verloren hatte. Dieser Rückgang stellt einen Rekord in der jüngeren Geschichte des Landes dar. Ferner sind einer Studie der Universität Michigan zufolge das Verbrauchervertrauen und die Stimmungsindizes in den USA weiterhin kritisch niedrig.
Es wird erwähnt, dass die Inflation zum größten Sorgenkind Washingtons geworden ist. Die Fed hat zu spät mit der Anhebung der Leitzinsen begonnen, wodurch sie in einer ohnehin schon schwierigen historischen Phase eine äußerst aggressive Geldpolitik betreiben musste.
Die Expertengemeinschaft stellt fest, dass die US-Wirtschaft wieder in die Krise von 2008 "zurückfallen" wird, sollte US-Präsident Joe Biden das Problem jetzt nicht dringend lösen. Das wiederum wird sich auf den Ruf der gesamten Regierung im Weißen Haus auswirken.
"Die aktuelle Entwicklung in den USA könnte enorme Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft haben. Die Folgen werden in erster Linie den Hightech-Sektor betreffen ‒ die Bewertungen für Start-ups werden sinken und infolgedessen wird das Budget für neue Entwicklungen schrumpfen. Dies führt zu einer Monopolisierung, da es für die 'Giganten' einfacher wird, junge Unternehmen aufzukaufen", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Anton Ljubitsch.
"Außerdem wird es zu einer geografischen Umverteilung des Kapitals kommen ‒ das amerikanische Venture-Capital wird sich in anderen Ländern niederlassen. Ich möchte daran erinnern, dass Washington allein während des sonntäglichen Bankentages rund 5 Milliarden Dollar nach Israel auf inländische US-Konten bei lokalen Banken überwiesen hat", betont der Experte.
"Man könnte sagen, die US-Wirtschaft gerät in eine weitere zyklische Krise, wie sie es bereits 2008/2009 tat. Seinerzeit wurde der Weg der 'quantitativen Lockerung' gewählt, um die Schwierigkeiten zu überwinden. Die Fed vergab 'kostenlose' Dollars an die Banken, um die aktuelle Liquidität aufrechtzuerhalten und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln", so der Gesprächspartner.
"Derartige Maßnahmen hätten einen dramatischen Rückgang des Lebensstandards und explosionsartige Preissteigerungen bewirken können. Gerade aus diesem Grund wurde das Geld für importierte Waren in den USA ausgezahlt und die Ausländer wurden ermutigt, die Erlöse in 'schnell wachsende Sektoren der US-Wirtschaft' zu investieren. Zu diesen gehörten die Technologieunternehmen des Silicon Valley", so Ljubitsch.
"In der Folge bildeten sich auf dem Markt so genannte Spekulationsblasen: Die Preise der Assets standen in keinem Verhältnis mehr zum Ertragsniveau. Höchst unrentable Unternehmen wurden nicht nur milliardenschwer geschätzt, sondern wurden auch von Tag zu Tag teurer", betont der Experte.
"Im Grunde genommen sind gerade diejenigen Banken ins Zentrum des Geschehens gerückt, die Unternehmen aus dem High-Tech-Sektor betreuen. In erster Linie die Silicon Valley Bank, die Signature Bank und die Silvergate. Mit anderen Worten sind die seit 2008 angehäuften Probleme zu Tage getreten", so der Gesprächspartner.
"Die Situation wird durch die antirussischen Sanktionen erschwert. Die Einschränkungen haben Moskau, Peking und viele arabische Länder ermutigt, die Verwendung des US-Dollars im internationalen Zahlungsverkehr zu reduzieren. Dies brachte den Werteverlust der digitalen Wertanlagen mit sich", unterstreicht Ljubitsch.
"Mutmaßlich hat Washington zur gleichen Zeit über die Kryptowährungsbörse FTX Kanäle zur Zahlung von Schmiergeldern für die US-Militärhilfe an die Ukraine eingerichtet. Der massive Geldabzug in Kombination mit dem Wertverfall der digitalen Währungen führte zur Zahlungsunfähigkeit der Organisation, was die Offenbarung von Problemstellen bei den Banken des Silicon Valley zur Folge hatte", so der Experte.
"Somit kann der Ausgangspunkt der Krise in der Ankündigung des Kryptowährungsunternehmens Silvergate gesehen werden, wonach es im vorletzten Jahr einen Verlust von mehr als 800 Millionen Dollar erlitten hat. Es war diese Nachricht, die den aktuellen Fall auslöste. Hiermit betone ich, dass dieser weiterhin andauern wird, bis alle 'spekulativen Papier'-Schulden in Folge der Insolvenzerklärung der scheiternden Unternehmen abgeschrieben sind", so der Gesprächspartner.
"Kehren wir zur Krise von 2008 zurück, so erkennen wir, dass alle Voraussetzungen für einen großen Crash des Finanzsystems bereits gegeben sind", sagt Ljubitsch. "Diesmal könnte die Kryptowährungsbörse FTX, die bereits bankrott gegangen ist, an die Stelle von Lehman Brothers treten."
"Dabei ist diese Wirtschaftskrise den Republikanern von großem Nutzen. Sie vertreten die Idee, dass die Demokraten überall Chaos und Zerstörung hinterlassen. Wobei solche Ereignisse eine kumulative Wirkung haben werden", fügte Wladimir Wassiljew hinzu, leitender Forscher am USA- und Kanada-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften.
"In diesem Zusammenhang wird Bidens Team krampfartige Versuche unternehmen, um eine Ausweitung der Krise zu verhindern. Die Sache ist die, dass die Probleme mit den größten Banken auch zu Schwierigkeiten bei den regionalen Organisationen führen könnten. Während aber im Jahr 2008 das Bankensystem als solches gelitten hat, könnte jetzt der reale Sektor, einschließlich der Haushalte, betroffen sein", so der Gesprächspartner.
"Angesichts des eher niedrigen Ratings von Biden könnte man ihm vorwerfen, dass er sich zu sehr für die Ukraine einsetzt, zum Nachteil der nationalen Interessen. Und die weitere Entwicklung wird davon abhängen, ob es ihm gelingen wird, sich als adäquater Staatschef zu präsentieren. Sollte ihm das nicht gelingen, schließe ich nicht aus, dass er sich davon distanzieren wird, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren. Darüber hinaus könnten die Parteigenossen Biden zu einem solchen Schritt zwingen, wenn seine Regierung scheitert", so Wassiljew abschließend.
Zuerst erschienen bei Wsgljad. Übersetzt aus dem Russischen.
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Photo: The Cradle
Der Sitz der Eurasischen Wirtschaftskommission (Eurasian Economic Commission – EEC) in Moskau, die mit der Eurasischen Wirtschaftsunion (Eurasia Economic Union – EAEU) verbunden ist, ist wohl einer der wichtigsten Knotenpunkte der entstehenden multipolaren Welt.
Dort empfing mich der Minister für Integration und Makroökonomie Sergey Glazyev – der zuvor von The Cradle ausführlich interviewt wurde – zu einem exklusiven, erweiterten Gespräch über die Geo-Ökonomie der Multipolarität.
Glazyev wurde von seinem obersten Wirtschaftsberater Dmitry Mityaev begleitet, der auch Sekretär des Wissenschafts- und Technologierates der Eurasischen Wirtschaftskommission (EEC) ist. Die EAEU und die EEC werden von Russland, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Armenien gebildet. Die Gruppe ist derzeit damit beschäftigt, eine Reihe von Freihandelsabkommen mit Ländern von Westasien bis Südostasien abzuschließen.
Unser Gespräch war ungekünstelt, fließend und direkt auf den Punkt gebracht. Ursprünglich hatte ich einige Gesprächspunkte vorgeschlagen, die sich um die Diskussionen zwischen der EAEU und China über die Gestaltung einer neuen gold- und rohstoffbasierten Währung unter Umgehung des US-Dollars drehten, und wie es realistisch möglich wäre, dass die EAEU, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und BRICS+ dieselbe Währungsgestaltung übernehmen.
Glazyev und Mityaev waren völlig offen und stellten auch Fragen zum globalen Süden. So sehr auch äußerst heikle politische Themen inoffiziell bleiben sollten, so ernüchternd waren doch ihre Aussagen über den Weg zur Multipolarität – und zwar auf realpolitischer Basis.
Glazyev betonte, dass die EEC von den Mitgliedsstaaten nicht verlangen kann, eine bestimmte Wirtschaftspolitik zu betreiben. Es gibt in der Tat ernstzunehmende Vorschläge für die Gestaltung einer neuen Währung, aber die endgültige Entscheidung liegt bei den Staats- und Regierungschefs der fünf ständigen Mitglieder. Dies setzt einen politischen Willen voraus, der letztlich von Russland, das für über 80 Prozent des EAEU-Handels verantwortlich ist, eingebracht werden muss.
Es ist durchaus möglich, dass nach dem Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Moskau am 21. März, wo er ausführliche strategische Gespräche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin führen wird, ein neuer Impuls kommen wird.
In Bezug auf den Krieg in der Ukraine betonte Glazyev, dass China derzeit sehr stark profitiert, da seine Wirtschaft – zumindest noch – nicht von den USA / der EU sanktioniert worden ist und Peking russisches Öl und Gas zu stark reduzierten Preisen kauft. Die Mittel, die Russland durch den Verkauf von Energie an die EU verliert, müssen durch die geplante Pipeline Power of Siberia II ausgeglichen werden, die von Russland über die Mongolei nach China führen soll – aber das wird noch einige Jahre dauern.
Glazyev skizzierte die Möglichkeit, dass eine ähnliche Debatte über eine neue Währung innerhalb der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) stattfinden könnte – doch die Hindernisse könnten noch größer sein. Auch hier wird es auf den politischen Willen ankommen, in diesem Fall von Russland und China: eine gemeinsame Entscheidung von Xi und Putin, mit entscheidendem Beitrag Indiens – und, da der Iran Vollmitglied wird, auch des energiereichen Teheran.
Was bisher realistisch ist, ist ein zunehmender bilateraler Handel in den eigenen Währungen, wie in den Fällen Russland-China, Russland-Indien, Iran-Indien, Russland-Iran und China-Iran.
Im Grunde sieht Glazyev nicht, dass das mit schweren Sanktionen belegte Russland eine führende Rolle beim Aufbau eines neuen globalen Finanzsystems übernehmen könnte. Diese Aufgabe könnte Chinas Globale Sicherheitsinitiative übernehmen. Die Teilung in zwei Blöcke scheint unvermeidlich: die dollarisierte Zone – mit ihrer eingebauten Eurozone – im Gegensatz zur Mehrheit des globalen Südens mit einem neuen Finanzsystem und einer neuen Handelswährung für den internationalen Handel. Im Inland werden die einzelnen Nationen weiterhin in ihren eigenen Währungen handeln.
Der Weg zur "De-Offshorisierung"
Glazyev war schon immer ein scharfer Kritiker der russischen Zentralbank, und er hat seine Bedenken geäußert – in Anlehnung an sein Buch The Last World War. Er hört nicht auf zu betonen, dass die amerikanische Logik darin besteht, die russische Wirtschaft an allen Fronten zu schädigen, während die Motive der russischen Zentralbank gewöhnlich "ernste Fragen" aufwerfen.
Er sagte, dass Putin eine ganze Reihe detaillierter Vorschläge zur Neuausrichtung der Zentralbank vorgelegt worden seien, die jedoch nicht weiterverfolgt worden seien. Er sprach auch das äußerst heikle Thema der Korruption an, in die wichtige Oligarchen verwickelt sind, die aus unerfindlichen Gründen vom Kreml nicht aus dem Weg geräumt wurden.
Glazyev hatte jahrelang davor gewarnt, dass Moskau unbedingt seine Devisenanlagen in den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und anderen Ländern verkaufen müsse, die später Sanktionen gegen Russland auslösten.
Diese Vermögenswerte hätten durch Investitionen in Gold und andere Edelmetalle, in Aktien von hochliquiden Rohstoffwerten, in Wertpapiere der EAEU-, SOZ- und BRICS-Mitgliedsstaaten und in das Kapital internationaler Organisationen mit russischer Beteiligung, wie der Eurasischen Entwicklungsbank, der GUS-Staatsbank und der BRICS-Entwicklungsbank, ersetzt werden sollen.
Zumindest scheint sich der Kreml inzwischen der Bedeutung des Ausbaus der Infrastruktur für die Unterstützung der russischen Exporte voll bewusst zu sein. Dazu gehört die Schaffung internationaler Börsenplätze für den Handel mit russischen Primärgütern innerhalb der russischen Gerichtsbarkeit und in Rubel sowie die Schaffung internationaler Vertriebs- und Dienstleistungsnetze für russische Waren mit hohem Mehrwert.
Für Russland, so Glazyev, besteht die wichtigste geldpolitische Herausforderung darin, die Kreditvergabe zu modernisieren. Und um negative Auswirkungen ausländischer Finanzquellen zu verhindern, liegt der Schlüssel in der inländischen Monetarisierung – "einschließlich der Ausweitung der lang- und mittelfristigen Refinanzierung von Geschäftsbanken gegen Verpflichtungen von Produktionsunternehmen und autorisierten Regierungsstellen. Es ist auch ratsam, ausländische Anleihen von staatlich kontrollierten Banken und Unternehmen konsequent durch inländische Kreditquellen zu ersetzen."
Der zwingende Weg nach Russland ist also die "De-Offshorisierung". Das bedeutet im Wesentlichen, sich von einer "überkritischen Abhängigkeit seiner Reproduktionskonturen von angelsächsischen Rechts- und Finanzinstitutionen" zu befreien, was "systematische Verluste des russischen Finanzsystems allein durch die Rentabilitätsdifferenz zwischen dem geliehenen und dem platzierten Kapital" zur Folge hat.
Glazyev betonte wiederholt, dass, solange die russische Zentralbank nicht reformiert wird, jede ernsthafte Diskussion über eine neue, vom globalen Süden übernommene Währung auf unüberwindbare Hindernisse stößt. Die Chinesen, die in hohem Maße mit dem globalen Finanzsystem verflochten sind, könnten auf neue Ideen kommen, nachdem Xi Jinping den von den USA provozierten hybriden Krieg gegen China öffentlich und in beispielloser Weise als das definiert hat, was er ist, und Namen genannt hat: Es ist eine amerikanische Operation.
Es scheint völlig klar zu sein, dass der Weg zu einem neuen Finanzsystem, das im Wesentlichen von Russland und China entworfen und von weiten Teilen des globalen Südens übernommen wird, lang, steinig und äußerst schwierig bleiben wird. Die Diskussionen innerhalb der EAEU und mit den Chinesen könnten sich auf die SOZ und sogar auf die BRICS+ ausweiten. Alles wird jedoch vom politischen Willen und vom politischen Kapital abhängen, das von der strategischen Partnerschaft zwischen Russland und China gemeinsam eingesetzt wird.
Deshalb ist Xis Besuch in Moskau nächste Woche so wichtig. Die Führungen Moskaus und Pekings scheinen sich des von Washington angezettelten Zweifronten-Hybridkriegs bewusst zu sein und sich abzustimmen.
Das bedeutet, dass ihre strategische Partnerschaft mit gleichrangigen Konkurrenten – das ultimative Anathema für das von den USA geführte Imperium – nur dann gedeihen kann, wenn sie gemeinsam ein ganzes Bündel von Maßnahmen ergreifen: von soft power bis hin zur Vertiefung von Handel und Gewerbe in ihren eigenen Währungen, einem Währungskorb und einer neuen Reservewährung, die nicht an das Bretton-Woods-System gebunden ist, das den westlichen Finanzkapitalismus legitimiert.
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die von The Cradle wider.
Autor
@RealPepeEscobar
Quelle: https://thecradle.co/article-view/22457/sergey-glazyev-the-road-to-financial-multipolarity-will-be-long-and-rocky
super - endlich kompetente informationen über china....
mehr hier...
Analysen: 7.-14.3.23: Chinas Generalabrechnung: Hegemonie der USA
1.855 Aufrufe 16.03.2023 Folgen„Unser Bild von China ist völlig verzerrt und unterbelichtet“, sagt der Volkswirtschaftler Prof. Dr. Wolfram Elsner. Er lehrt an einer chinesischen Uni und hat seine letzten 3 Bücher dem Reich der Mitte gewidmet. Im Gegensatz zum Westen sei China ausgesprochen experimentierfreudig, auch zu sehen an den experimentellen Socialcreditsystemen. Während in Deutschland die Unterdrückung der chinesischen Bürger geframt würde, hätte die chinesische Gesellschaft breit diskutiert und alte Verhaltensweisen aufgegeben. „Ein nationales Socialcreditsystem ist längst vom Tisch“, so Elsner. Und eine Isolierung Chinas, wie von den USA angestrebt, sei ein „Schuss ins eigene Knie“, vor allem für Deutschland.
ein wichtiger meilenstein zum weltfrieden...
Geburt der multipolaren Welt (1)
Der Nahe Osten befreit sich vom Westen
Es ist ein folgenschweres Ereignis, dessen Bedeutung außerhalb des Nahen Ostens nicht wahrgenommen wird: Saudi-Arabien und der Iran haben sich versöhnt... in China. Drei Unterschriften am unteren Rand eines Dokuments mischen nun alle Karten dieser Region neu.
Seit dem neunzehnten Jahrhundert wurde die arabische Welt zuerst vom Vereinigten Königreich und Frankreich auf den Ruinen des Osmanischen Reiches dominiert, dann von den Vereinigten Staaten. Diese Mächte brachten sowohl Freiheit als auch Unterdrückung. Das Vereinigte Königreich hat sich dadurch hervorgetan, die Akteure der Region zu spalten und gegenseitig zu manipulieren, um den Reichtum der Region mit möglichst wenig militärischer Beteiligung auszubeuten. Frankreich war sowohl Kolonialisierer der schlimmsten Art als auch aufklärender Dekolonialisierer. Die Vereinigten Staaten hatten immer eine imperiale Sicht auf die Region, mit Ausnahme einiger Jahre am Ende des Zweiten Weltkriegs, als sie die Nationalisten unterstützten.
Diese Periode ist mit der Ankunft Chinas gerade zu Ende gegangen. Wie immer beobachtete China sehr lange und handelte sehr langsam, mit unermüdlicher Ausdauer.
Diesen Abkommen gingen langwierige Verhandlungen voraus, zunächst im Irak und dann im Oman. Der Irak hat eine muslimische Bevölkerung, die zu einem Drittel sunnitisch und zu zwei Dritteln schiitisch ist. Während des Krieges gegen den Iran kämpften irakische Schiiten ungeniert gegen iranische Schiiten. Um seinen sunnitischen Landsleuten zu zeigen, dass er dem Iran nicht untergeordnet ist, musste der schiitische irakische Führer Muqtada al-Sadr heute nach Riad reisen. Der Irak braucht diesen Frieden mehr als jeder andere, um zu überleben. Oman hingegen ist strenggenommen weder schiitisch noch sunnitisch. Das Sultanat beruft sich auf eine dritte Strömung, den Ibadismus. Es kann daher legitimerweise eine Vermittlerposition zwischen Sunniten und Schiiten beanspruchen.
Während seiner Reise nach Riad im Dezember 2022 versuchte der chinesische Präsident Xi Jinping nicht, seinen Gesprächspartnern zu schmeicheln, um von ihnen bevorzugte Ölpreise zu erhalten. Im Gegenteil, er trat einfach ins Fettnäpfchen: Solange die Region Schauplatz unaufhörlicher Auseinandersetzungen sei, sei es nicht möglich, die Seidenstraßen zu bauen und den Handel zu entwickeln. Er hatte auch nicht versucht, die missverstandenen Interessen seiner iranischen Verbündeten zu verteidigen. Solange diese Inseln im Persischen Golf und in der Hormus-Straße, die Kleine und Große Tumb, sowie Abu Musa beanspruchten, nahm Präsident Xi seine Unterstützung der Vereinigten Arabischen Emirate in das gemeinsame Kommuniqué auf, das er mit dem Golfkooperationsrat unterzeichnete [1]. Es ist diese Autorität, die ihm erlaubte, sicherzustellen, dass der Iran niemals die Atombombe erwerben würde. Die Chinesen sind seit Jahrtausenden Verbündete des Iran. Chinesische Statuen sind in der antiken Stadt Persepolis sichtbar und auf der alten Seidenstraße wurde nicht Mandarin gesprochen, sondern Farsi (Persisch). Peking, das an den 4+1-Verhandlungen über das iranische Atomprogramm teilgenommen hat, weiß mit Sicherheit, dass die westlichen Anschuldigungen über iranische Ambitionen falsch sind.
Jeder konnte zu diesem Zeitpunkt sehen, dass sich Peking nicht gemäß seiner Interessen oder denjenigen seiner Verbündeten positionierte, sondern gemäß seinen Prinzipien. China hat sich zu einem verlässlichen Partner entwickelt, oder zumindest zuverlässiger als der Westen.
Es ist eher ein schneidiges Auftreten von China, Muslime miteinander zu versöhnen, während der Westen es beschuldigt, seine muslimische Minderheit in Xinjiang zu verfolgen, und sogar behauptet, dass China 1,5 Millionen Uiguren einsperrt. Dennoch konnten sich, wie Präsident Xi letzte Woche vor seinem Parlament in Erinnerung rief, 150 Millionen Touristen frei im Land bewegen und feststellen, dass der Islam dort eine Religion wie jede andere ist und dass es keine Infrastruktur gibt, um so viele Leute einzusperren.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs unterzeichneten die Vereinigten Staaten den USS Quincy-Pakt mit König Ibn Saud, dem Gründer des Staates, der seinen Namen trägt, nämlich Saudi-Arabien. Dieses Dokument, dessen genauer Inhalt nie veröffentlicht wurde, garantierte Washington, saudisches Öl für seine Armeen (nicht für seine zivile Wirtschaft) zu erhalten, im Austausch für seine Verpflichtung, die Saud-Dynastie zu schützen. Dieser Pakt wurde 2005 von Präsident George W. Bush wieder verlängert.
Dann betrachtete der Westen, dem US-Präsidenten Jimmy Carter folgend, dass der Zugang zum Öl des Nahen Ostens nicht eine Angelegenheit der Souveränität der produzierenden Staaten sei, sondern eine seiner eigenen "nationalen Sicherheit" . D [2]ies bedeutete, dass sich die Araber und Perser einer ausländischen Militärpräsenz unterwerfen mussten. Zu diesem Zweck gründete Washington 1983 ein regionales Kommando, das CentCom, und eröffnete dort eine Reihe von Militärstützpunkten. Der regionale "Vizekönig", wie das Pentagon es ausdrückt, könnte jeden Staat zerstören, der sich weigert, seine Kohlenwasserstoffe an ihn zu verkaufen. Übrigens waren die Araber und Perser nicht dagegen, da die Vereinigten Staaten mehr zahlten als die Briten und Franzosen.
Diese Herrschaft bedeutete von Anfang an das Unglück der Bevölkerungen. Enttäuscht von der antiimperialistischen Hartnäckigkeit von Ayatollah Ruhollah Khomeini, dem Washington geholfen hatte, Schah Reza Pahlevi zu stürzen, drängte es einen seiner Agenten, Präsident Saddam Hussein, einen Krieg gegen den Iran zu beginnen. Indem er beide Seiten gleichzeitig unterstützte, förderte der Westen einen 8 Jahre andauernden Krieg (1980-88), der eine Million Menschenleben kostete.
1987 kam es in Mekka zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen iranischen Pilgern und der saudische Polizei. Der Iran brach zum ersten Mal die diplomatischen Beziehungen ab, und zwar bis 1991.
Damals ging es für Washington nicht darum, die Sunniten gegen Schiiten auszuspielen, sondern die Araber gegen die Perser. Nach dem Ende der UdSSR organisierte das Pentagon den Krieg in Bosnien und Herzegowina (1992-95), ein europäischer muslimischer Staat. Für die US-Strategen ging es darum, die Möglichkeit der Teilung eines Landes (Jugoslawien) zu testen und ihre Verbündeten gegen Bevölkerungsgruppen russischer Kultur (Serben, Montenegriner und Mazedonier) zu mobilisieren. Sie vertrauten die Organisation der muslimischen Truppen einem anderen ihrer Agenten an, Osama bin Laden, der Militärberater von Präsident Alija Izetbegović wurde. Er koordinierte auf dem Schlachtfeld die saudischen Projektionskräfte und die iranischen Revolutionsgarden [3].
Die Männer, die Geschichte schreiben, sind selten von theologischen Spitzfindigkeiten motiviert. Sie verteidigen, was sie für die Interessen ihres Volkes halten. Die Tatsache, dass die saudischen und iranischen Streitkräfte drei Jahre lang nicht gegeneinander, sondern nebeneinander gekämpft haben, verhinderte nicht, dass ihre Theologen sich immer gegenseitig beschimpft haben. Politik muss von der Rolle der Kleriker unterschieden werden. Ich spreche nicht von Religionen, sondern von Klerikern, und überschätze sie nicht.
Im Jahr 2011 startete das Foreign Office die Operation „Arabischer Frühling“ nach dem Vorbild der "Großen Arabischen Revolte" von 1916-1918 (von Lawrence von Arabien). Es geht für London darum, die Regierungen zu stürzen, auf die es keinen Einfluss hat, aber die Völker versuchen natürlich, sich zu befreien, und überall breiten sich Unruhen aus. Unter den Revolutionären nehmen sich viele ein Beispiel an Imam Khomeini. In Bahrain bricht eine Revolution aus, bei der die überwiegend schiitische Bevölkerung versucht, die sunnitische Herrscherfamilie zu stürzen. Aus Angst schickte Saudi-Arabien seine Panzer und schlug die Rebellion nieder. Der Iran unterstützt schiitische Revolutionäre gegen saudische Panzer. In diesem Moment und nicht zuvor, was die jüngere Geschichte betrifft, spaltet sich der Nahe Osten in Sunniten und Schiiten.
Diese Spaltung wird sich während des gesamten Syrienkrieges nur noch weiter vertiefen. Der Westen unterstützt die Muslimbruderschaft, das Pentagon versucht, alles zu zerstören und allgemeines Chaos zu verbreiten (Rumsfeld/Cebrowski-Doktrin), während die Widerstandsachse (um den Iran) widersteht.
Zwei Dinge sind jedoch falsch:
Einerseits hat das Bündnis zwischen Syrien und dem Iran nichts mit den Ereignissen zu tun. Es stammt aus der Zeit, als sich der Schah von Iran als Polizist der Region verstand. Die Vereinigten Staaten baten ihn, sich mit Syrien (das noch nicht von der Baath-Partei geführt war) zu verbünden, um ein Gegengewicht zu Israel zu bilden.
Andererseits intervenierte Russland 2015 militärisch, als Syrien schwächer wurde und der Iran kaum noch über Mittel zur Hilfe verfügte, um die Arabische Republik Syrien gegen die Dschihadisten zu unterstützen.
Die Ereignisse beschleunigen sich. 2015 kommt es während der Pilgerfahrt in Mekka zu einer weiteren Massenpanik, bei der unter anderem Iraner getötet wurden, ohne dass die saudische Polizei eingreift. Im Jemen unterstützt der Iran die Partisanen Gottes (Ansarallah) gegen die Saudis, die versuchen, das Land mit Israel zu kontrollieren, um dessen Ölreichtum auszubeuten [4].
Schließlich hat Riad 2016 den Führer seiner internen Opposition, den schiitischen Scheich Nimr al-Nimr, und zugleich die Dschihadisten hingerichtet [5]. Der Iran reagierte auf diese Provokation und beendete die diplomatischen Beziehungen zu Saudi-Arabien.
Seit 7 Jahren ist der Nahe Osten gelähmt. Kein Konflikt kann gelöst werden, weil sich immer die beiden Seiten des Islam gegenüberstehen. Das ist genau das, was der Westen wollte und was Israel förderte. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die einzigen Persönlichkeiten, die sich über den saudisch-iranischen Frieden empören, Israelis sind.
Das soeben unterzeichnete Abkommen wurde von China auf der Grundlage der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten ausgehandelt. Die Iraner hätten vielleicht befürchten können, dass die saudischen Schiiten draufzahlen würden, wie Scheich Nimr al-Nimr vor sechs Jahren. Aber Teheran hat verstanden, dass sich die Zeiten geändert haben. Riad wird seine schiitische Minderheit respektieren, weil auch Riad Interesse an Frieden hat. Das verhindert nicht, dass die diskriminierenden Vorurteile der saudischen Sunniten noch lange Zeit in ihrem Verhalten verwurzelt bleiben.
Die internationalen Beziehungen, die Peking und Moskau vorantreiben, basieren auf gegenseitigem Respekt und nicht mehr auf Konfrontation. Der Spaltung und den westlichen Kriegen setzten sie den Austausch, den Handel und die Zusammenarbeit entgegen.
Frankreich für 4 Jahre blockiert
Die Krise, die Frankreich jetzt durchmacht, ist nicht noch eine zusätzliche Episode in einem ewig turbulenten Land. Es ist eine tiefe Krise des Regimes, die nur mit dem Beginn einer neuen Gesellschaft gelöst werden kann. Das Land wird mehrere Jahre lang eine Blockade durchlaufen, bevor es sich auf eine vollständige Transformation einlässt, eine Revolution, die mindestens eine Generation dauern wird.
Seit mehreren Wochen folgen Riesendemonstrationen in Frankreich aufeinander. An den Tankstellen vieler Departements gibt es keinen Treibstoff mehr und hunderte Tonnen Müll stapeln sich im Zentrum der Großstädte.
Präsident Emmanuel Macron ist es gelungen, eine Rentenreform durchzusetzen. Ihr Text löst kein einziges Problem und schafft viele Ungerechtigkeiten. So können beispielsweise Personen, die mit 16 Jahren eine Erwerbstätigkeit begonnen haben, nur mit einer höheren Anzahl von Arbeitsjahren in Rente gehen als Personen, die mit 18 Jahren begonnen haben zu arbeiten. In einem Land, das die Gleichheit vor dem Gesetz liebt, hätte dieser Text nicht verabschiedet werden dürfen.
Präsident Macron hat absichtlich eine Sackgasse geschaffen, aus der niemand einen Ausweg hat. Seine Regierung empfing alle Gewerkschaften während anderthalb Jahren, um alle ihre Vorschläge abzulehnen. Er hat Massendemonstrationen im ganzen Land miterlebt, vor allem in mittelgroßen Städten, ohne zu reagieren. Dann spielten er und die NUPES [Koalition der linken Parlamentsabgeordneten] mit dem Zeitplan, damit die Abgeordneten in erster Lesung nicht über diesen Text abstimmen konnten, und schließlich missbrauchte er eine Ausnahmebestimmung der Verfassung, um den Text in zweiter Lesung durchzusetzen.
Zu diesem Zweck bat er seine Premierministerin Elisabeth Borne, die Verantwortung ihrer Regierung vor der Nationalversammlung gemäß Artikel 49-3 der Verfassung zu übernehmen. Dieser Artikel wurde von seinen Verfassern für bestimmte Notsituationen konzipiert, die nichts mit der jetzigen Lage zu tun haben. Zweifellos hätten Charles De Gaulle und Michel Debré ihn unter solchen Umständen nie aktiviert.
Am Ende der Abstimmung fehlten dem Misstrauensantrag nur 9 von 577 Abgeordneten-Stimmen, um den Rücktritt der Regierung zu provozieren. Der Text, der der Versammlung nie zur Abstimmung vorgelegt worden war, galt automatisch als "angenommen".
Diese Anwendung von Gewalt ist Teil einer langen Reihe von Diktaten, die von den Maßnahmen zur Unterdrückung der "Gelbwesten"-Bewegung bis zur Einsperrung der gesunden Bevölkerung während der Covid-19-Epidemie durch eine Reihe von Verordnungen und dem missbräuchlichen Einsatz des 49-3 Artikels (11-mal in anderthalb Jahren) reichen. Selbst die Franzosen, die sich von Rechtfertigungen für die vorübergehende Einschränkung ihrer Freiheiten überzeugen ließen, finden nun, dass es wirklich genug ist.
Jetzt ist das Land in zwei Teile geteilt. Auf der einen Seite ein kleines Drittel der Bevölkerung, das kein Problem hat und wünscht, dass Emmanuel Macron das System weiterhin zu dessen Vorteil drehen lässt. Auf der anderen Seite, mehr als die restlichen zwei Drittel der Bevölkerung, nicht mehr nur feindlich eingestellt, sondern die sich in einem gemeinsamen Hassgefühl befinden. Diese Entwicklung der kollektiven Gefühle und die Einheit, die sie hervorruft, sind neu.
Aus seiner Sicht hat der Präsident gewonnen, weil sein Gesetz als "verabschiedet" gilt. Doch in der Praxis hat er verloren, weil er alle Gewerkschaften und das, was an populären politischen Parteien im Land zählt, gegen ihn zusammenbrachte. Nur Parlamentarier, die Mitglieder seiner Partei Renaissance (ehemals La République en Marche) sind, unterstützten ihn, wie auch einige wenige, die behaupteten, der ehemaligen gaullistischen Partei Les Républicains anzugehören. 8 bis 9 von 10 Franzosen sind gegen diesen Text und sind nun überzeugt, dass die Exekutive sich nicht um sie kümmert.
Die Republik ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Regime, das das Allgemeininteresse an die erste Stelle setzt. Mit einer solchen gravierenden Spaltung des Landes hat der Präsident nun die Republik verraten. Demokratie ist eine Form der Institution, die dem Volk die Stimme gibt. Auch sie hat er verraten. Die Situation ist jetzt vollkommen festgefahren und das Land ist unregierbar geworden. In den kommenden Monaten oder gar Jahren können keine wichtigen Entscheidungen mehr getroffen werden.
Nur der Rückgriff auf das Volk kann demokratische Institutionen wieder funktionsfähig machen. Die Verfassung der Fünften Republik sieht dafür mehrere Lösungen vor. Der Präsident könnte die Parlaments-Versammlung auflösen und Neuwahlen ausrufen. Aber seine Partei würde mit Sicherheit explodieren. Er könnte auch ein Referendum einberufen, aber er würde es zweifellos verlieren. Er wird also nichts tun und sich im Élysée-Palast einschließen, und ein Fest feiern.
Die Rentenreform markiert das Scheitern der Macron-Methode: Der Präsident versprach, sich über die Rechts/Links-Kluft zu stellen, aber er zeigte nur, dass er weder die einen noch die anderen zufrieden stellte.
Kommentatoren fragen sich, warum Emmanuel Macron freiwillig in diese Falle getappt ist? Welches Ziel verfolgte er? Auf diese Fragen gibt es keine politische Antwort. Vielleicht eine wirtschaftliche Antwort: Er will die kapitalgedeckte Rente vorantreiben, indem er die umlagefinanzierte Rente sabotiert. Vielleicht eine psychologische Antwort: Er ist dem Schicksal anderer gegenüber gleichgültig und liebt sie zu schockieren (während seiner ersten Wahl hatte ich schon sein soziopathisches Verhalten bemerkt). Wenn man diese Hypothese in Betracht zieht, wird er erst dann Ruhe finden, wenn er die Verfassung von 1958 völlig diskreditiert und die Gewissheit erlangt haben wird, der letzte Präsident der Fünften Republik zu sein.
Emmanuel Macrons politischer Selbstmord und sein Wille, das Land mit ihm zusammenbrechen zu lassen, verschleiern eine sehr tiefe Krise. Es ist kein Zufall, dass die Franzosen nacheinander einen US-Agenten an die Spitze des Landes gewählt haben: zuerst Nicolas Sarkozy, der die Unabhängigkeit Frankreichs zerstört und das Ergebnis des Referendums über die Europäische Verfassung verletzt hat, indem er denselben Text mit parlamentarischen Mitteln verabschieden ließ; dann einen „petit bourgeois“ [Kleinbürger], François Hollande, der die Präsidentschaft der Republik in eine Posse verwandelte; und endlich einen Investmentbanker, der den Élysée-Palast in einen Empfangsraum für Cocktails von US-Multimilliardären verwandelt hat. Viermal (sie haben Emmanuel Macron wiedergewählt) übernahmen die Franzosen die Verantwortung für diesen Abstieg in die Hölle. Sie waren überzeugt, dass ihr Land keine große Persönlichkeit brauchte, sondern nur kleine Reformen, um repariert zu werden.
Heute sind sie mit einer Nahrungsmittel- und Energieinflation von 20 bis 25 Prozent konfrontiert. In mehr als der Hälfte des Landes gibt es keine Ärzte mehr, und die Krankenhäuser schließen ihre Notdienste. Vor allem stellt jedermann fest, dass nichts mehr gut läuft: Das Schulniveau ist sehr gefährlich gesunken, die Polizei kann die Ordnung nicht mehr aufrechterhalten, das Justizsystem hat in den nächsten zwei Jahren keine Mittel, um korrekt zu funktionieren, die Armee ist unfähig, auf einen Krieg mit hoher Intensität zu reagieren. Die Probleme sind so zahlreich, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll.
Die Franzosen beginnen zu begreifen, dass man die öffentlichen Dienste nicht reparieren kann, sondern sie den neuen Realitäten entsprechend, überdenken muss: Digitalisierung der Produktionsmittel und der Globalisierung des Handels. Manchen zufolge begann die Krise im Jahr 2007 mit der Abstimmung des Parlaments über einen Text, der per Referendum abgelehnt worden war. Andere sagen hingegen, sie begann im Jahr 2005 mit den Unruhen in den Pariser Vororten; vielleicht war es in 1990, mit der französischen Beteiligung am US-Krieg am Golf. Tatsache bleibt, dass sich das Land nicht in dem wiederfindet, was aus seiner politischen Klasse geworden ist, und noch weniger in der Politik, die sie führt.
Emmanuel Macron, der mit dem Versprechen gewählt wurde, das Land zu modernisieren, erscheint heute als derjenige, der seine Transformation blockiert, der die Entstehung einer neuen Gesellschaft verhindert.
Die Franzosen, die 1789 die Initiative ergriffen, um das Ancien Régime zu stürzen und eine moderne Gesellschaft zu schaffen, hoffen, eine weitere Initiative zu ergreifen, um eine neue Welt zu schaffen. Sie wissen undeutlich, dass sich Afrika zur gleichen Zeit von der Vorherrschaft der französischen Regierungen befreit hat und dass Russland und China die internationalen Beziehungen neu organisieren, aber sie sind sehr wenig über diese Themen informiert.
Es ist sehr überraschend, ihren Durst nach einem neuen Paradigma und ihre Angst vor dem Absturz in eine gewaltsame Revolution zu beobachten. Um diese Krise zu lösen, würde es ausreichen, wenn ihre politische Klasse auf sie hörte, wie es König Ludwig XVI. zu Beginn der Revolution tat. Aber wir erleben einen Dialog der „Gehörlosen“. Während der gesamten Verhandlungen über die Rentenreform hat die Regierung den Gewerkschaften keinerlei Zugeständnisse gemacht. Auf der anderen Seite hat sie die Änderungsanträge mit den Parlamentariern vervielfacht und den Dialog mit dem Volk in eine interne Debatte der politischen Klasse verwandelt. Diese Haltung hat alle Türen für friedliche Ausgänge verschlossen.
Die Franzosen haben bereits das Vakuum der "großen Debatten" und anderen "Bürgerversammlungen" festgestellt. Präsident Macron hat sie schon benutzt. Sie haben daran teilgenommen, aber ihre Vorschläge gingen in einem bürokratischen Labyrinth verloren. Es wird daher nicht möglich sein, diese charmante Inszenierung zu wiederholen.
In den kommenden Monaten und Jahren wird sich nichts mehr ändern können. Die Regierung wird keinen Text mehr durch das Parlament bringen, und ihre Beamten werden ihr ohnehin nicht mehr gehorchen. Sie werden die lästigen Akten unter den Akten-Stapel legen und sie warten lassen. Die Franzosen werden auch nicht mehr protestieren können, ohne dass brutale Repression auf sie einprasselt, wie es bereits bei den Gelbwesten der Fall war.
Die Europawahlen im Jahr 2024 und die Kommunalwahlen im Jahr 2026 werden eine Gelegenheit sein, den Gastgeber des Élysée-Palastes vor seiner Abreise im Jahr 2027 ein wenig mehr zu isolieren. Es sei denn, er gibt zu, dass der einzige Weg, das Land wieder funktionsfähig zu machen, darin besteht, dass er zurücktritt.
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