In einer für die Denkfabrik ECFR (European Council on Foreign Relations, dt.: "Europäischer Rat für Außenbeziehungen") verfassten Analyse argumentiert Gustav Gressel, Senior Policy Fellow beim ECFR, dass der groß angelegte (und erfolgreiche) Einsatz militärischer Drohnen durch Aserbaidschan in seinem jüngsten Konflikt mit Armenien über Bergkarabach "deutliche Lehren dafür enthält, wie gut sich Europa verteidigen kann".
Gressel warnt, Europa erwiese sich selbst einen schlechten Dienst, täte es die Kämpfe um Bergkarabach einfach als einen "Kleinkrieg zwischen armen Ländern" ab. Damit hat Gressel recht – die militärische Niederlage, die Aserbaidschan Armenien zugefügt hat, war kein Zufall, sondern vielmehr ein Ausdruck perfektionierter Kunst der Drohnenkriegführung – und zwar von Bakus wichtigstem Verbündetem in den Kämpfen, der Türkei. Mit seiner Schlussfolgerung, dass "die meisten Armeen [der Staaten der Europäischen Union] (...) angesichts einer solchen Bedrohung ebenso miserable Leistung zeigen würden wie die armenische Armee", liegt Gressel goldrichtig.
falsche optik: der fokus sollte aber nicht auf der perfektionierter Kunst der Drohnenkriegführung durch die türkei liegen, sonder auf der diplomatischen meisterleistung putins, frieden zu stiften.
Was der armenischen Armee in ihrem kurzen, aber brutalen 44-tägigen Krieg mit Aserbaidschan widerfahren ist, geht über eine bloße Kriegsniederlage hinaus. Es geht dabei mehr um die Art und Weise, wie Armenien verloren hat, und genauer gesagt, wie hoch es verloren hat. Was am Himmel von Bergkarabach geschah, wo Aserbaidschan eine Vielzahl an türkischen und israelischen Drohnen einsetzte, um die armenischen Stellungen nicht nur zu überwachen und anzugreifen, sondern das gesamte Schlachtfeld zu gestalten und zu beherrschen, kommt einer Revolution im Kriegswesen gleich. Einer Revolution vergleichbar mit der, die von der Entstehung von Panzern, Panzerfahrzeugen und Flugzeugen zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeläutet wurde, die schließlich zum Untergang der Kavallerie führte.
Es war ja nun nicht so, dass die armenischen Soldaten nicht tapfer oder nicht gut ausgebildet und ausgerüstet gewesen wären – im Gegenteil. Der springende Punkt war, dass sie eine Art von Kriegführung demonstrierten, die von der Technologie überholt worden ist. Der Ausgang dieses Krieges war, egal wie entschlossen und mutig sie sich ihrem Gegner stellten, vorherbestimmt – ihr unvermeidlicher Tod und die Zerstörung ihrer Ausrüstung:
In den Kämpfen ließen etwa 2.425 armenische Soldaten ihr Leben, und 185 T-72-Panzer, 90 gepanzerte Kampffahrzeuge, 182 Artilleriegeschütze, 73 Mehrfachraketenwerfer und 26 Boden-Luft-Raketensysteme wurden zerstört.
Neue Art der Kriegführung
Was mit Armenien geschah, war kein isoliertes Ereignis in der Militärgeschichte. Es war vielmehr eine unübertroffene Glanzleistung in einer neuen Art der Kriegführung, in deren Mittelpunkt der Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge (UAVs oder Drohnen) stand. Aserbaidschans wichtigster Verbündeter im Krieg gegen Armenien – die Türkei – perfektioniert seit Jahren die Kunst der Drohnenkriegführung, wobei sie bei den jüngsten Kämpfen in Syrien (Februar/März 2020) und Libyen (Mai/Juni 2020) reichlich Erfahrungen mit modernen, vollumfänglichen Konflikten sammeln konnte.
Im Laufe des letzten Jahrzehnts nutzte die Türkei die von den USA und anderen Staaten verhängten Waffenembargos, die Ankara den Zugang zu der Art von taktischen Drohnen einschränkten, wie sie von den USA weltweit eingesetzt werden, um stattdessen von Grund auf eine einheimische Drohnenindustrie aufzubauen. Während die Türkei viele Modelle unbemannter Luftfahrzeuge in verschiedenen Konfigurationen entwickelte, sind zwei besonders hervorzuheben – Anka-S und Bayraktar.
Kein Chaos in diesem Schwarm
Während der Volksmund die Art von drohnenzentrierten Offensiven, wie die Türkei sie führt, "Drohnenschwarm" nennt, ist die moderne Drohnenkriegführung, wenn sie in großem Maßstab geführt wird, in Wirklichkeit eine bewusste, hochgradig koordinierte Vorgehensweise – und integriert elektronische Kriegführung, -aufklärung und -überwachung sowie natürlich Logistik und Einsatz der Waffenträgersysteme. Der Drohnenkrieg der Türkei über Syrien wurde von der taktischen Kommandozentrale der türkischen Zweiten Armee aus geleitet, die sich etwa 400 Kilometer von den Kämpfen entfernt in der Stadt Malatya in der türkischen Provinz Hatay befindet.
Hier saßen die türkischen Drohnen-Operateure, und von hier aus überwachten sie den Betrieb ihres integrierten Aufgebots an EMS-Kriegführungskapazitäten (EMS = Elektromagnetisches Spektrum), mit dem syrische und russische Luftverteidigungsradargeräte gestört und Signale von militärischem Wert (wie z.B. Handygespräche) gesammelt und analysiert wurden, die man zum Angriff gegen bestimmte Orte verwendete.
Für jeden türkischen Verlust von einem Dollar verlor Syrien etwa fünf Dollar
Die wichtigsten von der Türkei in dieser Rolle eingesetzten Systeme sind das Störsystem KORAL und eine speziell konfigurierte Anka-S-Drohne, die als luftgestützte Aufklärungsplattform dient. Die Anka-S fungierte auch als luftgestützte Gefechtsleitstelle, die Zielinformationen an Bayraktar-Drohnen in der Umgebung weiterleitete, die das Ziel dann visuell erfassten, bevor sie hochpräzise Luft-Boden-Raketen an Bord abfeuerten und das jeweils zugewiesene Ziel zerstörten. Bereits wenn ein integrierter Drohnenangriff, wie von der Türkei durchgeführt, isoliert stattfindet, kann er tödliche Wirksamkeit zeitigen; doch führt man ihn mit vier oder mehr Systemen gleichzeitig durch, von denen jedes in der Lage ist, auf mehrere Orte zu zielen, sind die Ergebnisse verheerend und könnten die Angriffe aus der Sicht der Empfänger durchaus mit einem tödlichen "Schwarm" verglichen werden.
Die Kämpfe in Syrien veranschaulichten einen weiteren wichtigen Faktor in der Drohnenkriegführung – das Missverhältnis zwischen den Kosten der Drohne und dem Wert der militärischen Kapazitäten, die sie vernichten kann. Die türkischen Bayraktar- und Anka-S-Drohnen kosteten die Türkei jeweils etwa 2,5 Millionen Dollar. Im Laufe der Kämpfe in der syrischen Provinz Idlib verlor die Türkei zwischen sechs und acht unbemannte Luftfahrzeuge, was zu Wiederbeschaffungskosten von insgesamt rund 20 Millionen Dollar führte.
Die Türkei behauptet (und Russland bestreitet das nicht), in der ersten Nacht jener Kämpfe in Syrien eine große Anzahl an schwerem Gerät der syrischen Armee zerstört zu haben, darunter 23 Panzer und 23 Artilleriegeschütze. Insgesamt wird den türkischen Drohnen neben einer beträchtlichen Menge anderer Kampfausrüstung die Zerstörung von 34 syrischen Panzern und 36 Artilleriesystemen zugeschrieben. Nimmt man die durchschnittlichen Kosten für einen in Russland hergestellten Panzer in Höhe von rund 1,2 Millionen Dollar und für ein Artilleriesystem in Höhe von rund 500.000 Dollar an, so beläuft sich allein der von den türkischen Drohnen verursachte Gesamtschaden auf rund 57,3 Millionen Dollar (wobei diese Zahl nicht die anderen beträchtlichen materiellen Verluste des syrischen Militärs einschließt, die insgesamt diese Zahl leicht erreichen oder übersteigen könnten). Allein unter Kostengesichtspunkten verloren die Syrer etwa fünf US-Dollar für jeden US-Dollar an Verlusten, die die Türkei erlitt.
Die Türkei war in der Lage, ihre Lehren aus den Kämpfen in der Provinz Idlib zu ziehen und sie auf einem anderen Kriegsschauplatz anzuwenden – in Libyen, im Mai 2020. Dort hatte sich die Türkei auf die Seite der belagerten Kräfte der GNA (Government of National Accord, dt.: Regierung der Nationalen Einheit) geschlagen, die um die libysche Hauptstadt Tripolis herum letzten Widerstand leisteten. Die GNA stand den Kräften der sogenannten Libyschen Nationalarmee (LNA) gegenüber, die aus Bengasi heranzog – mit dem Ziel, in einer Großoffensive die Hauptstadt einzunehmen, die GNA auszuschalten und die Kontrolle über ganz Libyen zu übernehmen.
Wie man ein halbes Land erobert
Die LNA wurde von mehreren ausländischen Mächten unterstützt, darunter Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland (über die Wagner-Gruppe, ein privates militärisches Unternehmen). Das Einschreiten der Türkei legte den Schwerpunkt auf den integrierten Drohnenkrieg, den sie in Syrien perfektioniert hatte. In Libyen fielen die Ergebnisse sogar noch einseitiger aus: Die von der Türkei unterstützte GNA konnte die LNA-Truppen zurückdrängen und dabei beinahe die Hälfte Libyens erobern.
Sowohl die LNA als auch die von der Türkei unterstützte GNA machten ausgiebigen Gebrauch von Kampfdrohnen. Doch nur die Türkei brachte einen integrierten Ansatz zur Drohnenkriegführung mit auf das Schlachtfeld. Beobachter hatten sich an das Konzept der USA gewöhnt, die einzelne Drohnen frei über Orten wie dem Irak, dem Jemen und Afghanistan betrieben und Präzisionsschläge gegen Ziele von Terroristen ausführten. Wie Iran jedoch im vergangenen Mai demonstrierte, sind Drohnen gegenüber modernen Luftabwehrsystemen verwundbar, und die Drohnentaktik der USA würde in einem Luftraum, den der Gegner ihnen streitig macht, nicht funktionieren.
Auch die LNA, die in großem Umfang Kampfdrohnen aus chinesischer Fertigung einsetzte, die von Operateuren aus den Vereinigten Arabischen Emiraten geflogen wurden, war damit sehr erfolgreich – just bis zum Eingriff der Türkei. Mithilfe elektronischer Kriegführung und ihrer integrierten Luftverteidigungsfähigkeiten machte diese es der LNA dann unmöglich, Drohnenoperationen durchzuführen. Und die Unfähigkeit der LNA, eine wirksame Verteidigung gegen die türkischen Drohnenoperationen aufzubauen, führte dazu, dass das Kampfgeschehen am Boden eine rasche Wende nahm. Wenn überhaupt, dann war die Kostendifferenz zwischen der von der Türkei unterstützten GNA und der LNA noch größer als der Eins-zu-Fünf-Dollar-Vorteil, den die Türkei in Syrien genoss.
USA, Russland und China – die großen Jungs in der Aufholpartie
Als die Türkei im September 2020 ihre Zusammenarbeit mit Aserbaidschan gegen Armenien begann, hatte die Fähigkeit der Türkei zum Drohnenkrieg ihren Höhepunkt erreicht – und das Ergebnis in Bergkarabach war so gut wie sicher. Eine der wichtigsten Lehren, die aus den Erfahrungen der türkischen Drohnen in Syrien, Libyen und Bergkarabach gezogen wurden, ist zu bedenken: Diese Konflikte wurden nicht etwa gegen sogenannte "arme Länder" ausgetragen.
Vielmehr standen die Türken gut ausgerüsteten und gut ausgebildeten Streitkräften gegenüber, die mit Ausrüstung operierten, die der in den meisten kleinen und mittleren europäischen Ländern eingesetzten sehr ähnlich ist. In der Tat stand die Türkei in allen drei Konflikten einigen der besten von Russland hergestellten Flugabwehrraketensysteme gegenüber. Die Realität sieht so aus, dass es den Streitkräften der meisten Staaten nicht gut ergehen würde, wenn sie mit einem türkischen "Drohnenschwarm" konfrontiert würden.
Und der Einsatz von Drohnen in größerer Zahl wird sich nur noch ausweiten.

So arbeitet die US-Armee derzeit an AFADS (Armed, Fully-Autonomous Drone Swarm, also ihrem sogenannten "bewaffneten, vollständig autonomen Drohnenschwarm". Wenn AFAD-Schwärme eingesetzt werden, werden sie – autonom und ohne menschliches Zutun – Ziele orten, identifizieren und angreifen, und zwar mit einer so genannten "Cluster Unmanned Airborne System Smart Munition", die ihrerseits einen Schwarm kleiner Drohnen freisetzt, die sich über das Schlachtfeld ausbreiten und dort Ziele orten und zerstören.
China hat ebenfalls ein System getestet, das mit bis zu 200 "Kamikazedrohnen" ein Schlachtfeld sättigt. Diese sollen Ziele zerstören, indem sie in diese hineinfliegen.
Und im September dieses Jahres integrierte auch Russlands Militär zum ersten Mal "Drohnenschwarm"-Kapazitäten in einer groß angelegten Militärübung.
Das Gesicht der modernen Kriegführung hat sich für immer verändert. Und jene Staaten, die auf ein Schlachtfeld, auf dem die Drohnentechnologie vollständig in jeden Aspekt des Kampfes integriert ist, nicht vorbereitet oder ausgerüstet sind, können mit ähnlichen Konsequenzen rechnen wie jetzt Armenien: mit schweren Verlusten an Menschenleben und Ausrüstung, Niederlagen, Demütigung und wahrscheinlich territorialen Verlusten. Dies ist die Realität der modernen Kriegführung, die – wie Gressel feststellt – jeden Staat, der beim Einsatz der Drohnentechnologie nicht vollständig mitzieht, "zum Nachdenken – und zur Besorgnis" veranlassen sollte.
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Die Welt schaute über sechs Wochen zu, wie Aserbaidschan die Gebiete rund um und in Bergkarabach mit seiner Offensive zurückeroberte. Doch das Ende des Krieges kam ebenso überraschend wie auch dessen Beginn. Nun schickt Russland Friedenstruppen in die Region.
von Wladislaw Sankin
Das Ende des zweiten Bergkarabach-Krieges, das mit dem Friedenspakt vom 9. November erzielt wurde, kam nur auf den ersten Blick überraschend. Denn nur wenige Stunden, nachdem Wladimir Putin, Ilcham Alijew und Nikol Paschinjan das Dokument unterschrieben hatten, landeten bereits die ersten Soldaten der russischen Friedenstruppen auf einem armenischen Flugplatz, um dann auf dem Landweg in das Kampfgebiet zu gelangen.
Diese schnelle logistische Leistung spricht dafür, dass russische Truppenkontingente in Einsatzbereitschaft standen und nur auf den Marschbefehl warteten. Der russische Einsatz lag also schon länger als Option auf dem Verhandlungstisch, genauso wie die Rückgabe der aserbaidschanischen Gebiete außerhalb der Grenzen des einstigen sowjetischen Autonomen Gebiets Bergkarabach an die Republik Aserbaidschan.
In der einen oder anderen Form wurde diese Formel seit Ende der 1990er-Jahre im Rahmen der internationalen Verhandlungsformate zur Regulierung des Konflikts diskutiert. Die Gebiete außerhalb von Bergkarabach dienten für die nicht anerkannte Republik und ihre Schutzmacht Armenien als Sicherheitszone und Faustpfand bei den Verhandlungen mit Aserbaidschan. Sie im Zuge von Verhandlungen an Aserbaidschan abzugeben – selbst im Austausch für diplomatische Vorteile, beispielsweise in der Frage nach dem Status von Bergkarabach –, schien für die armenische Seite lange Zeit unmöglich.
Moskau zum Bergkarabach-Friedensabkommen:
Ein Sieg der Völker beider Länder
Psychologisch war das die Folge des Sieges im ersten Karabach-Krieg, als die Kämpfer der Karabach-Armee mit Unterstützung aus Armenien die Aserbaidschaner nicht nur aus Bergkarabach vertrieben, sondern auch Teile Aserbaidschans eroberten. Wie auch vor knapp 30 Jahren hielten die Armenier die gegnerischen Aserbaidschaner offenbar für schlechtere Kämpfer und hatten zu wenig Angst vor einer Gegenoffensive.
Im ersten Karabach-Krieg fügten sie den Aserbaidschanern schmerzhafte Verluste zu. Alle Berechnungen der Kriegsopfer des damaligen Krieges, der von 1991 bis 1994 mehr als drei Jahre dauerte, kamen auf eine größere Opferzahl auf der aserbaidschanischen Seite. Nach den konservativsten Schätzungen verloren mindestens 6.000 Armenier und 10.500 Aserbaidschaner ihr Leben. Gemessen am Armeekontingent, das an den Kampfhandlungen auf beiden Seiten beteiligt war, sind solche Verluste durchaus mit den Verlusten der deutschen Wehrmacht und der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg vergleichbar.
War die Niederlage vermeidbar?
Laut dem armenischen Regierungschef Paschinjan konnte der "schlechte Frieden", der in Moskau ausgehandelt wurde, nur nach einem Kampf ausgehandelt werden. Die Abgabe der aserbaidschanischen Gebiete auf diplomatischem Weg kam für ihn nicht nur vor, sondern auch nach Beginn des Krieges nicht infrage. Damit drückte er auch die Stimmung in großen Teilen der armenischen Bevölkerung aus. Diesmal wurde aber der bewaffnete Kampf verloren. Warum?
Dafür gibt es mehrere Gründe – und das sind nicht nur die Fehleinschätzungen des Gegners durch Armenien, der in der Zwischenzeit seine Armee zusammen mit den türkischen Verbündeten trainierte und mit neuer Kriegstechnik umrüstete. Es waren auch diplomatische Fehleinschätzungen. Armenien, das sein politisches System auf dem westlichen Modell einer parlamentarischen Demokratie errichtete, hoffte im Laufe der Jahre immer mehr auf die Unterstützung des Westens – vor allem der USA und Frankreichs mit ihrer jeweiligen armenischen Diaspora.
Grundsätzlich hatte Armenien aufgrund seiner alten christlichen Kultur, seiner tausendjährigen Geschichte und seines leidvollen Schicksals im Ersten Weltkrieg im Westen ein besseres Image als das muslimisch geprägte Aserbaidschan. Bis heute hält sich die Republik Armenien jedoch mit einer offiziellen Anerkennung Bergkarabachs zurück, denn dieser Alleingang könnte die Position und das Image Armeniens international beeinträchtigen. Aserbaidschan signalisierte auch seinerseits stets, dass die Anerkennung Bergkarabachs eine "rote Linie" darstelle. Trotz vieler Anzeichen dafür hielt die armenische Außenpolitik auch noch kurz vor dem Krieg ein massives Eingreifen der Türkei in den Konflikt für wenig wahrscheinlich. "Das würde die Welt zu sehr an das türkische Genozid an Armeniern erinnern", meinte die Fraktionschefin der Regierungspartei noch im Juli.
Erschwerend hinzu kam auch die Verschlechterung der Beziehungen zu Russland, die nach der "Samtenen Revolution" Anfang 2018 einsetzte. Diese "Revolution" brachte den jetzigen prowestlichen Regierungschef, den Ex-Journalisten Nikol Paschinjan, an die Macht. Die militärische Zusammenarbeit mit Russland wurde eingeschränkt, infolgedessen blieb die Armee Bergkarabachs ohne moderne Luftabwehr und verlor auch deshalb den Drohnenkrieg gegen die Aserbaidschaner.
Unversöhnliche Positionen: Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan (links) und der aserbaidschanische Präsident Ilcham Alijew (rechts) bei einer Diskussion am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2020
Im Unterschied zum ersten Krieg um Bergkarabach verzichtete die armenische Regierung diesmal trotz Ankündigung auf eine totale Mobilisierung im Land und schickte nur freiwillige Kampfgruppen zur Unterstützung Bergkarabachs. Der Eingriff der regulären Armee unterblieb jedoch. Die Folge war die Zerschlagung der maximal 20.000 Mann starken Armee der nicht anerkannten "Republik Arzach" mit knapp 147.000 Einwohnern durch einen weit stärkeren Gegner.
Russland – als Armeniens Verbündeter in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) – durfte und wollte in diesen Konflikt nicht eingreifen, weil der Krieg nicht auf dem Territorium Armeniens stattfand. Zumal man in Moskau ohnehin kein Interesse an einem militärischen Konflikt mit Aserbaidschan hatte, zu dem Russland ja ebenfalls sehr gute Beziehungen pflegt. Die langjährigen Staatschefs beider Länder, Wladimir Putin und Alijew, die einander seit mindestens zwei Jahrzehnten kennen, zeigen sich gerne in der Öffentlichkeit wie gute Freunde.
Jetzt steht die Regierung in Jerewan vor einem Scherbenhaufen. In nur sechs Wochen des Krieges verloren aufseiten Bergkarabachs über 1.300 Kämpfer und ca. 50 Zivilisten ihr Leben. Angesichts solcher Verluste musste nun ein Abkommen zu viel schlechteren Bedingungen abgeschlossenen werden, als dies noch vor dem Krieg möglich gewesen wäre. Bergkarabach, das von Armenien als heilige Stätte ihres kulturellen und staatlichen Ursprungs angesehen wird, verlor nun bis zu 40 Prozent seines Stammgebietes, darunter die militärstrategisch sehr wichtige Stadt Schuscha (armenisch: Schuschi). Die von den Karabach-Kräften besetzten aserbaidschanischen Gebiete gehen infolge des Abkommens an Aserbaidschan zurück, darunter das weitläufige Gebiet zwischen Armenien und Bergkarabach sowie Pufferzonen südlich und östlich von Bergkarabach. Nun sorgt nur der von russischen FSB-Grenztruppen kontrollierter fünf Kilometer schmale Latschin-Korridor als Landverbindung zwischen Armenien und Bergkarabach. Laut dem Abkommen bekommt Aserbaidschan auch einen sicheren Transportweg durch Armenien, der die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan mit dem restlichen Aserbaidschan verbindet.
Nach Einschätzung von Militärexperten konnten die Aserbaidschaner nach dem Fall von Schuscha auch den Rest des umkämpften Gebietes innerhalb von wenigen Tagen zurückerobern. Nun stehen die russischen Friedenstruppen ihnen aber im Weg. Trotzdem wertet der aserbaidschanische Präsident Alijew den Ausgang des Krieges als großen Erfolg. Die Ziele, die Aserbaidschan mit dieser Offensive verfolgte, seien erreicht worden.
Auch auf der persönlichen Ebene zeigt Alijew Genugtuung. Schuscha, als Panahabad die ehemalige Hauptstadt vom Khanat Karabach und wichtiges Wahrzeichen für beide Konfliktpartner, hatten Armenier am 9. Mai 1992 eingenommen. Am 9. Mai 2019 kam Premier Paschinjan nach Schuscha und tanzte während der Feierlichkeiten aus Anlass des 27. Jahrestages der Einnahme der Stadt. Das löste in Baku Empörung aus.
Jetzt, nachdem Aserbaidschan die Stadt zurückerobert hatte, erinnerte der aserbaidschanische Präsident höhnisch an diesen Tanz und sagte russischen Journalisten: "Als Paschinjan in Schuscha im Alkoholrausch tanzte, hat er schon damals vorgezeichnet, was heute geschah."
Hat Russland die Türkei "ausgebootet"? Lawrow spricht mit Çavuşoğlu über Regulierung in Bergkarabach
Russland und die Türkei erzielen eine Einigung
Am 10. November trafen die ersten russischen Soldaten eines fast 2.000 Mann starken Kontingents in Bergkarabach und damit völkerrechtlich auf dem Territorium Aserbaidschans ein – zum ersten Mal in den Jahrzehnten nach dem Zerfall der Sowjetunion. Damit konnte Russland seinen verlorenen Einfluss im Südkaukasus ein Stück weit zurückgewinnen. Viele in Russland sprechen sogar von dem Triumph der russischen Diplomatie, die in der Lage war, nicht nur den verlustreichen Krieg zu beenden, sondern im Einvernehmen mit beiden Konfliktparteien seine zusätzliche militärische Präsenz in der Region zu sichern – möglicherweise sogar auf Jahrzehnte.
Das von den Staats- und Regierungschefs Russlands, Aserbaidschans und Armeniens unterzeichnete Abkommen kann als historisch bezeichnet werden. Dieses Dokument gibt bereits die Richtung für eine friedliche Lösung eines sehr schwierigen Konflikts vor. Ich betone, dass keine weiteren Parteien – die Türkei, die USA und Europa – tatsächlich an der Unterzeichnung teilgenommen haben", sagte der russische Politikwissenschaftler Igor Kefeli.
Und was ist mit der Türkei? Aserbaidschan kämpfte nicht nur mit türkischen Drohnen, die man ganz legal auf dem Waffenmarkt kaufen kann. Seit Jahren wirken in Aserbaidschan türkische Militärberater mit. Die Türkei verfrachtete auch Söldner von den türkisch kontrollierten Gebieten in Syrien nach Aserbaidschan, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan unterstützte seinen Verbündeten massiv mit Kriegsrhetorik, insbesondere in der ersten Kriegsphase.
Nun bleibt er außen vor. Erdoğan wirkte rechtfertigend, als er vor Journalisten sagte: "Wie auch immer Russland da ist, unsere Beobachtungs- und Monitoring-Gruppen werden dort auch sein." Damit meinte er gemeinsame russisch-türkische Beobachtungszentren, die außerhalb des Territoriums von Bergkarabach errichtet werden. Kremlsprecher Dmitri Peskow betonte, dass "der Bereich der Zusammenarbeit mit der Türkei auf dem Territorium Aserbaidschans und nicht in Bergkarabach liegt".
Neue Trennungslinien in der Region um Bergkarabach und Positionen der russischen Friedenstruppen:
Laut dem Politwissenschaftler Rostislaw Ischtschenko ist dies keineswegs ein Gewinn für die Türkei, weil das türkische Militär ja ohnehin in Aserbaidschan anwesend sei. Nun bekomme Russland auch noch die Möglichkeit, deren Tätigkeit auf dem Territorium dieses Landes aus nächster Nähe zu beobachten.
Russland ist global in sehr viele bilaterale, regionale und internationale diplomatische Formate eingebunden. Mit der Türkei unterhält es eine komplizierte Beziehung eines "Feintunings". Nun wird es – wie in Syrien – auch in Aserbaidschan eine russisch-türkische Militärmission geben. Das ist vonseiten Russlands einerseits die Anerkennung der Tatsachen, dass die Türkei in Aserbaidschan mittlerweile über erheblichen Einfluss verfügt. Andererseits ist es aber auch der Versuch, eine bessere Kontrolle über die türkische Aktivität zu erlangen und eventuell auch eine zusätzliche diplomatische Plattform für Besprechung der Angelegenheiten auf dem Kaukasus zu errichten. Russland ist nach wie vor am Ausbau der logistischen Achse in die südlichen Teile Eurasiens unter Beteiligung Aserbaidschans und des Iran interessiert. Es war kein Zufall, dass die Entwicklung der Transport- und Transitwege sowie die Wiederbelebung der wirtschaftlichen Aktivität "in der Region" auch einer der Punkte des Moskauer Waffenstillstandsabkommens war.
Mehr zum Thema - Dreier-Gipfel zwischen Russland, Aserbajdschan und Iran: Ein wichtiger Wurf im neuen "Great Game"?
 |
© pixabay.com |
30.11. Tageskorrektur ++ US Wahl Live Ticker ++ Haunsi ++ Haiti's Präsident ++ Trump und Sun Tsu ++ X22-Report ++ Flynn: immer noch Putsch ++ Ärzteblatt ++
1.12. US Wahl Live Ticker ++
? Ad- ventsQalender ++ ⛄ Winter-Prognose ++ Anhörung Arizona ++ An- hörung Michigan Live ++ Amazing Polly ++ Kampf um die Daten in Georgia ++ Mailinfo ++