Die Biden-Regierung beobachtete gelähmt Israels Reaktion auf den Angriff des palästinensischen Widerstands, einschließlich der Hamas, der als "Al-Aqsa-Flut" (7. Oktober) bekannt ist. Die Operation "Eisernes Schwert" begann mit einem massiven Bombardement von Gaza-Stadt in einem Ausmaß, das es so noch nie zuvor auf der Welt oder in der Geschichte gegeben hat, auch nicht während der Weltkriege. Ab dem 27. Oktober wurde die Operation durch Bodeninterventionen, Plünderungen und Folter von Tausenden von Zivilisten in Gaza verstärkt. In fünf Monaten wurden 37534 Zivilisten ermordet oder sind vermisst, darunter 13430 Kinder und 8900 Frauen, 364 medizinisches Personal und 132 Journalisten [1].

Zunächst reagiert Washington mit seiner unerschütterlichen Unterstützung für "Israels Recht, sich selbst zu verteidigen", droht mit einem Veto gegen jede Bitte um einen Waffenstillstand und liefert so viele Bomben, wie für die weitgehende Zerstörung der palästinensischen Enklave notwendig waren. In Washingtons Augen war es undenkbar, nach Syrien und der Ukraine eine weitere Niederlage zu erleiden. Die US-Amerikaner wurden jedoch live auf ihren Handys Zeugen dieser Schrecken. Viele hochrangige Beamte des US-Außenministeriums sprachen und schrieben über ihre Schande, dieses Gemetzel unterstützt zu haben. Petitionen wurden in Umlauf gebracht. Prominente Persönlichkeiten, sowohl Juden als auch Muslime, traten zurück.

Mitten im Präsidentschaftswahlkampf konnte sich das Team von Joe Biden die Hände nicht noch mehr mit Blut beflecken. Also begann es das israelische Kriegskabinett unter Druck zu setzen, damit es die Freilassung der Geiseln verhandelt und einen Waffenstillstand schließt. Die Koalition von Benjamin Netanjahu weigerte sich jedoch, und versicherte unter Ausnutzung des Traumas ihrer Mitbürger, dass der Frieden erst nach der Ausrottung der Hamas zurückkehren würde. Washington erkannte schließlich, dass die Ereignisse vom 7. Oktober nur ein Vorwand für Jabotinskys Anhänger waren, um das zu tun, was sie immer schon wollten: die Araber aus Palästina zu vertreiben. Da wurde Washington nun eindringlicher und betonte, dass die Palästinenser das Recht hätten zu leben, dass die Kolonisierung ihres Landes nach internationalem Recht illegal sei und dass die israelisch-palästinensische Frage durch die "Zwei-Staaten-Lösung" gelöst werden würde (und nicht durch den binationalen Staat, der in der Resolution 181 von 1947 vorgesehen ist).

Die "revisionistischen Zionisten" (d.h. die Anhänger von Jabotinsky [2]) reagierten darauf, indem sie am 28. Januar 2024 die "Konferenz für den Sieg Israels" organisierten [3]. Sie gaben die wichtigste Rolle Rabbi Uzi Sharbaf, der in Israel wegen seiner rassistischen Verbrechen gegen Araber zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, aber von seinen Freunden begnadigt wurde. Sharbaf zögerte nicht, sich zum Erben des Lehi und der Stern-Gruppe zu erklären, die damals an der Seite des Duce Benito Mussolini gegen die Alliierten kämpften. Die Botschaft wurde in Washington und London perfekt verstanden: Diese winzige Gruppe wollte den Angelsachsen ihren Willen aufzwingen und würde nicht zögern, sie anzugreifen, falls sie versuchten, diese ethnische Säuberung zu verhindern. Das Weiße Haus verhängte sofort ein Verbot, Gelder für sie zu sammeln und zu überweisen [4]. Dieses Verbot wurde im Rahmen des Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA) auf alle westlichen Banken ausgeweitet.

Darüber hinaus unterzeichnete Präsident Joe Biden am 8. Februar ein Memorandum über die Bedingungen für den Transfer von US-Waffen [5]. Israel hat bis zum 25. März Zeit, schriftlich zu garantieren, dass es weder gegen das humanitäre Völkerrecht (aber nicht gegen das Völkerrecht selbst) noch gegen die Menschenrechte (in der US-Verfassung, nicht im französischen Sinne) verstößt.
Die Parlamente der Niederlande und des Vereinigten Königreichs haben ihrerseits begonnen, über die Möglichkeit zu debattieren, den Waffenhandel mit Israel zu stoppen.

In Israel organisierte die jüdische demokratische Opposition antizionistische Demonstrationen, die aber nicht sehr massiv waren. Die Redner, die dort sprachen, betonten den Verrat des Premierministers, der den Schock des 7. Oktober ausnutzte, nicht um die Geiseln zu retten, sondern um seinen kolonialen Traum zu verwirklichen.

Die "revisionistischen Zionisten" starteten daraufhin eine Medienoffensive gegen das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Seit 1949 hat diese UN-Organisation 5,8 Millionen staatenlose Palästinenser in Palästina, Jordanien, Libanon und Syrien mit Bildung, Nahrung, Gesundheitsversorgung und sozialen Dienstleistungen versorgt. Die UN-Organisation verfügt über ein Jahresbudget von mehr als 1 Milliarde US-Dollar und beschäftigt mehr als 30 000 Mitarbeiter. Bereits 2018 hatte Präsident Donald Trump das Wohlergehen der Palästinenser in Frage gestellt und die US-Finanzierung der Agentur ausgesetzt. Auf diese Weise wollte er die palästinensischen Fraktionen zurück an den Verhandlungstisch zwingen. Fünf Jahre später ist das Ziel der "revisionistischen Zionisten" ein ganz anderes. Mit dem Angriff auf die UNRWA wollen sie ebenfalls Jordanien, den Libanon und Syrien zwingen, palästinensische Flüchtlinge auszuweisen. Zu diesem Zweck beschuldigten sie 0,04 Prozent ihrer Mitarbeiter, an der Operation Al-Aqsa-Flut teilgenommen zu haben, und sperrten ihre Bankkonten in Israel. Sofort suspendierte der Schweizer Philippe Lazzarini, Direktor der UNRWA, die 12 Mitarbeiter und ordnete eine interne Untersuchung an. Natürlich hat er nie die Beweise erhalten, die die Israelis behaupten zu besitzen, aber ein Geberstaat nach dem anderen, angeführt von den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, hat seine Finanzierung ausgesetzt. Innerhalb weniger Tage brach in Gaza und innerhalb weniger Wochen in Jordanien, im Libanon und in Syrien das UN-Hilfssystem zusammen.

Während David Cameron, ehemaliger britischer Premierminister und jetziger Außenminister, Israel besuchte, um darüber zu diskutieren, wie man retten könne, was für die Palästinenser noch zu retten sei, verglich Amichai Chikli, Minister für die Diaspora, ihn mit Neville Chamberlain, der das Münchner Abkommen mit Adolf Hitler unterzeichnete. "Guten Tag an David Cameron, der ’Frieden in unsere Zeit’ bringen will und den Nazis, die die Gräueltaten vom 7. Oktober begangen haben, einen Preis in Form eines palästinensischen Staates verleihen will, in Anerkennung der Ermordung von Babys in ihren Kinderbetten, der Massenvergewaltigungen und der Entführung von Müttern mit ihren Kindern", sagte er. Wie bei der "Konferenz für den Sieg Israels" bedrohten die "revisionistischen Zionisten" die Angelsachsen.

Benjamin Netanjahus Koalition der jüdischen Suprematisten begann, über eine neue Phase des "Eisernen Schwertes" zu sprechen, diesmal gegen Rafah. Zivilisten, die bereits aus Gaza geflohen waren, müssten erneut fliehen. Da Tsahal/IDF jedoch eine Straße gebaut hatte, die den Gazastreifen in zwei Teile teilte, konnten sie nicht dorthin zurückkehren, wo sie hergekommen waren. Um sich auf das Schlimmste vorzubereiten, richtete Ägypten ein riesiges Gebiet auf dem Sinai ein, um vorübergehend Bewohner des Gazastreifens unterzubringen, deren Vertreibung unvermeidlich schien [6].

Bewusst, dass sie sich nur dank des Schocks vom 7. Oktober in Tel Aviv an der Macht halten konnten, verabschiedeten die "revisionistischen Zionisten" ein Gesetz, das jede Bemerkung über die "Al-Aqsa-Flut"-Operation mit einer Negation der Nazi-Endlösung gleichsetzte. Es verbietet jede Untersuchung dieser Ereignisse unter Androhung von 5 Jahren Haft. Die Revisionisten konnten somit den Anschlag weiterhin ausschließlich der Hamas zuschreiben, obwohl der Islamische Dschihad und die PFLP auch daran beteiligt waren. Sie konnten den Anschlag als antisemitische Demonstration interpretieren, ihn einem gigantischen Pogrom gleichsetzen und ihr Ziel der nationalen Befreiung damit in Abrede stellen.

Obwohl sie wussten, dass viele Staaten ihren Rückzug von der Finanzierung der UNRWA in Frage stellten, setzten die revisionistischen Zionisten ihre Angriffe auf die UNRWA fort. Sie behaupteten, das Hauptquartier der Hamas befinde sich in einem Tunnel unter dem Hauptquartier dieser Behörde. Philippe Lazzarini drückte seine Verwirrung aus und erinnerte daran, dass Israel regelmäßig kam um die Einrichtungen des Hilfswerks zu durchsuchen. Aber Gilad Erdan, Israels ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen, twitterte für alle: "Es ist nicht so, dass Sie nicht wussten, es ist so, dass Sie es nicht wissen wollen. Wir haben die Tunnel der Terroristen unter den Schulen der UNRWA gezeigt und Beweise dafür geliefert, dass die Hamas die UNRWA ausnutzt. Wir haben Sie angefleht, eine umfassende Durchsuchung aller UNRWA-Einrichtungen in Gaza durchzuführen. Aber Sie haben sich nicht nur geweigert, sondern auch dafür entschieden, Ihren Kopf in den Sand zu stecken. Übernehmen Sie doch Verantwortung und treten Sie noch heute zurück. Jeden Tag finden wir neue Beweise dafür, dass in Gaza die Hamas = die UNO ist und umgekehrt. Man kann nicht allem trauen, was die UNO sagt oder was man über Gaza sagt."

Die jüdischen Suprematisten gründeten eine Organisation, Tzav 9 (in Analogie zum allgemeinen Mobilmachungsbefehl "Tzav 8"), um die UNRWA daran zu hindern, ihre Hilfe für die Bewohner des Gazastreifens fortzusetzen. Sie stationierten Milizen an den beiden Eingängen in den Gazastreifen, um die Durchfahrt von Lastwagen zu verhindern. Zur gleichen Zeit wurde in Gaza ein Lastwagenfahrer der UNRWA ermordet, was die Organisation dazu zwang, ihre Konvois einzustellen. Schließlich konnten sie wieder aufgenommen werden, aber ausschließlich unter israelischer Militäreskorte. In diesem Moment kam es zu dem ersten Ansturm der ausgehungerten Menschenmenge. Samantha Power, Direktorin von USAID, kündigte an, dass sie dorthin gehen werde, um zu überprüfen, was vor sich gehe. Washington dachte, dass diese Angriffe nicht spontan waren, sondern insgeheim von den "revisionistischen Zionisten" gefördert wurden. Erst dann kam es zum Massaker am Nabulsi-Kreisverkehr (südlich von Gaza-Stadt): Nach Angaben der IDF wurden bei der Verteilung von Nahrungsmitteln 112 Menschen niedergetrampelt. Die israelischen Soldaten konnten sich nur befreien, indem sie von ihren Waffen Gebrauch machten. In Wirklichkeit wurden nach Angaben des medizinischen Personals und der United Church of Christ 95 Prozent der Opfer erschossen. Washington veröffentlichte eine Erklärung, in der es die Position Tel Avivs unterstützte, aber Haaretz sagte: "Es ist zweifelhaft, ob die internationale Gemeinschaft diese Erklärungen glauben wird » [7].

Washington reagierte, indem es Jordanien und Frankreich erlaubte, Lebensmittelrationen an den Meeresstränden des Gazastreifens abzuwerfen, und sich dann auch an diesen Luftoperationen beteiligte. Darüber hinaus begann es, seine Logistik einzusetzen, um eine schwimmende Insel zu schaffen, die als Anlegestelle für internationale humanitäre Hilfe für Gaza genutzt werden konnte (die Küste des Gazastreifens ist zu flach, um große Schiffe herankommen zu lassen). Damit greift das Pentagon eine Idee auf, die der heutige Außenminister Israel Katz 2017 vorgebracht hat: Das Prinzip eines humanitären Marinekorridors von Zypern aus wurde bereits vereinbart. Es wird von den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Europäischen Union genutzt werden.

Während Israel nun 450 UNRWA-Mitarbeiter wiederum ohne Beweise beschuldigte, Mitglieder der Hamas zu sein, traf sich die UNRWA mit etwa 100 Zivilisten aus Gaza, die von der IDF "zum Verhör" gefangen genommen worden waren, und hörte ihnen zu. Sie bereitet einen Bericht über die systematische Folter vor, der sie ausgesetzt waren. Die ganze Welt hat die Bilder dieser Männer gesehen, die von israelischen Soldaten gezwungen wurden, sich auszuziehen, um verhört zu werden.

Da die "revisionistischen Zionisten" die Angelsachsen verachten, nahmen sie ihr Kolonisierungsprojekt wieder auf. Sie drangen über den Grenzübergang Eretz/Beit Hanuna in den Gazastreifen ein, um die ersten Gebäude einer neuen Siedlung, New Nisanit, zu errichten. Sie konnten zwei Holzgebäude bauen, bevor sie von der IDF zurückgewiesen wurden.

36 Chefredakteure großer angelsächsischer Medien unterzeichneten einen Brief des Komitees zum Schutz von Journalisten, in dem sie den Tod ihrer Mitarbeiter in Gaza anprangerten und die israelische Regierung daran erinnerten, dass sie die Verantwortung habe, für ihre Sicherheit zu sorgen [8].

Doch während die israelische Regierung vorgab, von den Toten überrascht zu sein, traten die meisten Beamten der Informationsabteilung massenhaft zurück. Ministerin Galit Distel-Etebaryan war bereits am 12. Oktober aus Protest gegen die Militärzensur zurückgetreten. Jetzt war die Krise viel schwerwiegender: Diejenigen, die für Desinformation verantwortlich waren, weigerten sich, weiter zu lügen, da die Kluft zwischen ihrem Narrativ und der Wahrheit immer größer geworden war.

Benjamin Netanjahus einziges Zugeständnis war die Aufhebung des Verbots, den Ramadan in der Al-Aqsa-Moschee zu feiern. Nachdem arabische Mitglieder der Knesset bei König Abdullah II. von Jordanien interveniert hatten, der allein für die Sicherheit der muslimischen heiligen Stätte in Jerusalem verantwortlich ist, genehmigte er diese Versammlungen schließlich für die erste Woche, die alle sieben Tage verlängert werden kann.

Washington beschloss daraufhin, seine Politik radikal zu ändern. Bisher hatte es das Gefühl, dass Washington es sich nicht leisten konnte, Israel verlieren zu lassen. Es hatte also sein Verbrechen unterstützt. Jetzt kann Washington es sich nicht mehr leisten, die jüdischen Faschisten gewinnen zu lassen. Es ist wichtig zu verstehen, dass Washington seine Meinung nicht wegen des Leidens der Menschen in Gaza geändert hat, auch nicht wegen eines plötzlichen Ausbruchs des Antifaschismus, sondern wegen der Drohungen der "revisionistischen Zionisten". Washingtons Positionen werden ausschließlich von seinem Wunsch diktiert, seine Dominanz über die Welt aufrechtzuerhalten. Es könne sich keine weitere Niederlage seiner israelischen Verbündeten vorstellen, dieses Mal, nach denen in Syrien und der Ukraine. Aber noch weniger kann Washington sich gestatten, gegen die "revisionistischen Zionisten" zu verlieren.

Die Biden-Regierung hat daher General Benny Gantz, den ehemaligen alternativen Premierminister und seit dem 12. Oktober Minister ohne Geschäftsbereich, eingeladen, trotz des Widerstands von Premierminister Benjamin Netanjahu zu Konsultationen in die Vereinigten Staaten zu kommen. Es ist eine Art Gegenreaktion darauf, wie er sich 2015 gegen den Standpunkt von Präsident Barack Obama hatte einladen lassen, eine Rede vor dem Kongress zu halten. Die USA wollen zeigen, dass sie das Sagen haben und niemand anderer.

Die USA sehen sich zum Handeln gezwungen. Tatsächlich hat Russland die sechzig palästinensischen politischen Organisationen nach Moskau eingeladen. Es forderte sie auf, sich zu vereinen, und überzeugte die Hamas, die PLO-Charta anzunehmen, d.h. den Staat Israel anzuerkennen.

General Benny Gantz nahm diese Einladung nicht an, um Hilfe von außen zu finden und den Premierminister zu stürzen. Er ging nach Washington, um sicherzustellen, dass er Israel noch retten konnte und dass seine Verbündeten ihn nicht im Stich lassen würden. Zu ihrer großen Überraschung erschien er ihnen nicht als strategische Alternative zu Benjamin Netanjahu, sondern lediglich als ein General, der darauf bedacht war, nicht massenhaft unschuldige Menschen zu massakrieren.

Am 5. März wurde Benny Gantz von Vizepräsidentin Kamala Harris empfangen, die das von Benjamin Netanjahus Koalition verübte Massaker kompromisslos verurteilte. Die US-Presse unterstrich, dass ihre erste Rede in noch härteren Worten verfasst worden war. Wichtig ist, dass sie die Rolle des "bösen Buben" spielte, während das Außenministerium und das Pentagon die verständnisvolleren "guten Buben" verkörperten. Er traf auch Außenminister Antony Blinken, der ihn im Namen "Amerikas" zum zukünftigen Premierminister Israels ernannte. Dort erfuhr er von der sofortigen Pensionierung von Unterstaatssekretärin Victoria Nuland.

Diese ist in Europa dafür bekannt, dass sie den Sturz des gewählten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch im Jahr 2014 beaufsichtigt hat. Sie war es auch, die die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und den französischen Präsidenten François Hollande davon überzeugte, die Minsker Vereinbarungen zu unterzeichnen, um den Rückzug Russlands zu sichern. Wir wissen jetzt, dass der Westen das Massaker an den Bewohnern des Donbass nicht beenden wollte, sondern nur Zeit für die Bewaffnung der Ukraine gewinnen wollte.

Victoria Nuland ist jedoch vor allem die Ehefrau des Historikers Robert Kagan, der das Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert leitete. In dieser Eigenschaft kündigte es die Anschläge vom 11. September an, das "neue Pearl Harbor", das das "amerikanische Imperium" erwecken sollte [9]. Beide waren Schüler des Philosophen Leo Strauss, der selbst ein Schüler von Vladimir Jabotinsky und eine führende Figur der neokonservativen Bewegung war [10]. Die Nummer 2 des Projekts für ein neues amerikanisches Jahrhundert war Elliott Abrams, der Mann, der im vergangenen Jahr Benjamin Netanjahus Wahlkampf und dann dessen Putsch finanzierte [11].

Im Jahr 2006 beendete die damalige US-Botschafterin bei der NATO, Victoria Nuland, den israelisch-libanesischen Krieg und rettete Israel vor einer Niederlage durch die Hisbollah. Sie kennt Benjamin Netanjahu also sehr gut.

Ihre Entlassung zeigt die Bereitschaft der Biden-Regierung, bei sich und auch in Israel aufzuräumen.

Am 6. März machte Benny Gantz auf dem Heimweg einen Zwischenstopp in London. Er wurde von Sicherheitsberater Tim Barrow, Premierminister Rishi Sunak und Außenminister David Cameron empfangen. Dieser betonte natürlich, dass Israel das Recht habe, sich zu verteidigen, aber nur in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht. Für ihn war der Stopp zwingend, weil die Hamas der palästinensische Ableger der Muslimbruderschaft ist, einer politischen Geheimgesellschaft, die vom britischen MI6 auf Distanz gehalten wird und jahrzehntelang von König Charles III. (damals Prinz von Wales) betreut wurde.

In seiner Rede zur Lage der Nation am 7. März sagte Präsident Joe Biden: "Den Führern Israels sage ich Folgendes: Humanitäre Hilfe darf keine zweitrangige Betrachtung oder ein Geldaustausch sein. Der Schutz und die Rettung unschuldiger Leben muss Priorität haben. Was die Zukunft betrifft, so ist die einzige wirkliche Lösung der Situation eine Zwei-Staaten-Lösung. Ich sage dies als langjähriger Verbündeter Israels und als einziger amerikanischer Präsident, der Israel in Kriegszeiten besucht hat. Aber es gibt keinen anderen Weg, um Israels Sicherheit und Demokratie zu gewährleisten. Es gibt keinen anderen Weg, um sicherzustellen, dass die Palästinenser in Frieden und Würde leben können. Und es gibt keinen anderen Weg, den Frieden zwischen Israel und all seinen arabischen Nachbarn, einschließlich Saudi-Arabien, zu gewährleisten." [12].

Während des Massakers an den Bewohnern des Gazastreifens begannen viele Führer im Nahen Osten, die mit der Muslimbruderschaft sympathisierten, die Hamas in Frage zu stellen. Wenn man auch verstand, dass die Bruderschaft angeblich im Namen des Islam gegen die Sowjets, dann gegen die Säkularisten Muammar Gaddafi und Baschar al-Assad gekämpft hat, wie kann man dann erklären, dass sie eine Operation durchführen konnte, für die nur ein muslimisches Volk den Preis zahlen würde? Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan war der erste, der reagierte und dem Obersten Führer der Muslimbruderschaft, Mahmud Hüseyin von Ägypten, die türkische Staatsbürgerschaft entzog, die er ihm zwei Jahre zuvor verliehen hatte. Das bedeutet natürlich nicht, dass Recep Tayyip Erdoğan die Ideologie des politischen Islam aufgibt, sondern dass er versucht, sie vom angelsächsischen Kolonialismus zu trennen, wie es Bruder Mahmoud Fathi vorgeschlagen hat.

Seit 75 Jahren zwingt der Westen seinen ehemaligen Kolonien im "Erweiterten Nahen Osten" seinen Willen auf, entweder durch Dschihadisten oder direkt durch seine Armeen. Durch die vier Monate lange Unterstützung der Massaker, die von den jüdischen Faschisten der Jabotinsky-Netanjahu-Gruppe verübt wurden, hat der Westen sein Prestige verloren. Was auch immer Israels Zukunft sein mag, mit Benny Gantz und Yair Lapid statt Benjamin Netanjahu und Itamar Ben-Gvir, Israels Macht, die auf dem Mythos der jüdischen Unvereinbarkeit mit dem Faschismus beruht, ist zusammengebrochen. Von nun an wird es möglich sein, alle Verbrechen ans Tageslicht zu bringen, die diese kleine Gruppe im Auftrag der CIA während des Kalten Krieges im Nahen Osten, in Afrika und Lateinamerika begangen hat.

 
 
Übersetzung
Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser

US-Flugsicherung untersucht die auf einem Flug nach Alaska herausgefallene Tür, 07.01.2024

Der Fall von Boeing: industrielle Kriege, industrieller Niedergang

Es war ein langer, leidvoller Weg nach unten, aber inzwischen ist der einstige industrielle Gigant Boeing, der es fast zu einem Monopol in der Flugzeugherstellung geschafft hätte, weit unten angekommen. Im Internet kann man sehen, wie Räder und Türen von seinen Flugzeugen fallen.
 

Von Dagmar Henn

Es ist lange her, da war die Boeing 747 die Verkörperung westlicher Modernität; zur Hochzeit des Kalten Kriegs war es ein Symbol für den Anbruch einer Zeit, in der Reisen per Flugzeug zum Alltag werden sollte. Und vielleicht, im Rückblick, der Gipfelpunkt in der Geschichte ihres Herstellers, kurz vor dem endgültigen Sieg über die US-Konkurrenz und noch vor dem Auftauchen des Erzrivalen Airbus.

Inzwischen beherrscht Boeing die Schlagzeilen eher mit Fehlleistungen, und das mit einer deutlich steigenden Tendenz – zuletzt fielen insbesondere ein beim Start verlorenes Rad und eine auf dem Flug verlorene Tür ins Auge. Beides übrigens im Zeitraum weniger Wochen. Beides auf Videos gebannt und im Internet verbreitet.

Das ist sozusagen die Dreingabe auf die Probleme, die Boeing seit der Einführung seines neuen Flugzeugs, der 737 MAX, im Jahr 2014 hat, das als Konkurrent des Airbus 320 gescheitert ist; unter anderem, weil mehrfach in Folge von Unglücken sämtliche Exemplare der Reihe nicht fliegen durften.

Die jüngsten Vorfälle schafften es sogar bis in die deutsche Tagesschau. Und es ist ein erstaunlicher Einblick in industrielle Schlamperei:

"Die Unfallermittlungsbehörde NTSB geht nach ersten Untersuchungen davon aus, dass vier Befestigungsbolzen an dem Rumpfteil gänzlich fehlten. Es gebe Hinweise darauf, dass das Fragment immer weiter hochgerutscht sei, bis es dann beim 154. Flug herausbrach, sagte NTSB-Chefin Jennifer Homendy vor wenigen Tagen in einer Anhörung im US-Senat."

Nun ist die Niederlage von Boeing gegen Airbus gewissermaßen der Schlussakt eines industriellen Konzentrationsprozesses, der im Verlauf der Jahrzehnte gewissermaßen im jeweiligen Einzugsbereich beider Konzerne sämtliche andere Konkurrenten auslöschte oder auffraß. Airbus, das Produkt eines politischen Projekts mit einem deutsch-französischen Kern, vertilgte schon in der alten Gestalt als DASA Dornier, Fokker, MBB, MTU und Teile der AEG. Immer mal wieder gab es auch britische Beteiligung, und nach der Gründung von EADS gehörten auch die Spanier fest dazu; der anfänglich stark beteiligte Daimler-Konzern ist inzwischen draußen, aber die drei beteiligten europäischen Staaten halten zusammen nach wie vor eine Sperrminorität an dem Konzern, der neben ziviler Luftfahrt auch an den Ariane-Raketen beteiligt war, und – wie US-Konkurrent Boeing – außerdem als Rüstungsproduzent unterwegs ist.

Während im Bereich der Rüstung sich niemand darüber wundert, wenn der Absatz der Produkte politisch gefördert wird, entgeht es vielfach der Aufmerksamkeit, dass sich auch die Märkte in der zivilen Luftfahrt nicht unbeeinflusst entwickeln. Viele Fluggesellschaften weltweit sind nach wie vor staatlich, sodass im Verlauf der jahrzehntelangen Auseinandersetzung zwischen Airbus und Boeing, die mit dem Jungfernflug des A 300 im Oktober 1972 begann, sich auch die Entwicklung politischer Machtverhältnisse widerspiegelte. Und als 2003 das erste Mal mehr Flugzeuge bei Airbus als bei Boeing in Auftrag gegeben wurden, war das mit Sicherheit ein Moment, der Auswirkungen auf die politische Strategie der Vereinigten Staaten hatte, vielleicht sogar der auslösende Moment für das augenblicklich zu beobachtende Streben, die europäische Industrie zu ruinieren.

Industrielle Moden und Produktionssicherheit

Als der Airbus-Vorläuferkonzern DASA entstand und so viel wie möglich in sich einverleibte, war das der Höhepunkt einer insbesondere in Deutschland lange verfolgten Politik, ganze Produktionsketten soweit irgend möglich innerhalb eines Konzerns zu bündeln, sozusagen vom Stahlwerk zur Schraube zum Automobil. Volle Kontrolle über den gesamten Herstellungsprozess, was etwa Skalengewinne durch Vereinheitlichung ermöglichte. Dann kehrte sich diese Mode um, und es wurde alles ausgelagert, was ausgelagert werden konnte; nicht nur, um durch Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer die Kosten zu senken, sondern auch, um durch ein Durcheinander unterschiedlichster Firmen Besteuerung und Haftung zu erschweren. Diese Mode kam in Europa mit Verspätung an und ist erst mit der Auflösung der Deutschland-AG unter Gerhard Schröder voll zur Blüte gelangt; sie hat aber, langfristig gesehen, fatale Auswirkungen in Bereichen, in denen die Sicherheit eine gewichtige Rolle spielt.

Sicher, selbst die Geschäftsbeziehungen eines heutigen Großkonzerns zu einem Zulieferer können mit dem gleichen Verhältnis etwa vor hundert Jahren nicht mehr verglichen werden. Auch wenn die mögliche Konkurrenz seitens des Auftraggebers genutzt wird, um die Preise zu drücken, sind die Vorgaben bezüglich des Produkts sehr genau und sehr einseitig. Bei den meisten Zulieferfirmen ist es eben nicht so, dass da ein Unternehmen ein Produkt anbietet, das genommen wird oder eben nicht, sondern de facto handelt es sich längst um exakt beschriebene Fertigungsvorgaben.

Allerdings – während die, nennen wir sie mal, zentralistische Variante der Konzernstruktur den Vorteil hat, dass sich aus der Kooperation ein Gesamtertrag ergibt, und ebendieser Gesamtertrag die Produktion lenkt, ändern auch die genauen Vorgaben für das Zulieferunternehmen oder selbst für den formal ausgegliederten früheren Konzernteil nichts daran, dass sämtliche Entscheidungen innerhalb dieses Zweigs durch den maximalen Ertrag für ebendiesen Zweig fallen, wobei es letztlich egal ist, ob am Ende noch etwas abfällt oder überhaupt ein funktionsfähiges Produkt entsteht, solange das Vorprodukt gekauft wird.

Das bedeutet schlicht: Jeder Übergabepunkt zwischen den Unternehmen A, B und C entlang einer Produktionskette ist eine mögliche Fehlerquelle, die zusätzliche Qualitätskontrollen erforderlich macht. Wobei natürlich die erforderlichen Kontrollen nach Möglichkeit die Einsparungen durch die Fremdproduktion nicht auffressen sollen. Was allerdings eine völlig andere Fragestellung ist, ob es um Waschmaschinen geht oder um Flugzeuge.

Im letzteren Fall gibt es sogar öffentliche Aufsichtsbehörden, die die Produkte genehmigen müssen, weil die Folgen eines Fehlers so groß sind. Ähnlich wie bei der Zulassung von Medikamenten. Aber so wie inzwischen feststeht, dass man in der EU die Substanzen, die Pfizer injizieren ließ, gar nicht selbst geprüft, sondern sich auf die Herstellerangaben verlassen hat, soll das auch bei Boeing bei der 737 MAX geschehen sein – die US-Luftfahrtbehörde überließ die Überprüfung des Produkts dem Hersteller.

Die Probleme, die 2014 aufgetaucht waren, führten dazu, dass sich Boeing gegenüber der Flugaufsichtsbehörde zu einer sorgfältigeren Fehlerkontrolle verpflichten musste. John Barnett, ein ehemaliger Qualitätsmanager bei Boeing, erklärte noch 2019, dass nach wie vor einzelne Teile in der Produktion nicht nachverfolgt und dass sogar als fehlerhaft aussortierte Teile eingebaut würden, um die Produktion nicht zu verzögern. Boeing stand da längst nicht mehr nur unter Kosten-, sondern auch unter Zeitdruck, um mit Airbus noch mithalten zu können. John Barnett jedenfalls soll, während seine Klage gegen Boeing verhandelt wurde, an einer "selbst beigebrachten" Verletzung verstorben sein. Eine Aussage, der selbst die BBC, die zuerst über diesen Todesfall berichtete, nicht zu vertrauen scheint.

Es gibt sicher längst mathematische Modelle, die berechnen, unter welchen Bedingungen die Fehlerwahrscheinlichkeit nahe 100 Prozent liegt. Das Problem ist, dass sich die politische Macht, die es einem Konzern ermöglicht, öffentliche Kontrollen zu unterlaufen, und eine Produktionsstruktur, in der Kostendruck und Ausgliederungen viele zusätzliche Fehlerquellen erzeugen, die wieder aus Kostengründen nicht überwacht werden (auch im Fall Pfizer kursieren immer wieder Informationen über verunreinigte Vorprodukte), sich miteinander vermählen und – das ist die Krux bei Fehlerwahrscheinlichkeiten – miteinander multiplizieren. Airbus konnte in diesem Fall womöglich die Tatsache, dass die drei beteiligten Staaten sich wechselseitig mit Argusaugen beobachten und jeder genug Anteil an der Produktion haben will, dazu geführt haben, eine stärkere Binnenkontrolle gegen die industrielle Mode zu bewahren.

Eine Spitze auf Stelzen

Derzeit kursiert ein kurzer Schnipsel über Boeing im Internet, der eigentlich schon neun Jahre alt ist und aus einer damaligen Dokumentation auf Al Jazeera stammt. Kein sehr schmeichelhafter Bericht, aber es ist anzunehmen, dass sich seitdem die Verhältnisse nicht gebessert haben – die Ereignisse der letzten Woche belegen das zur Genüge.

Dabei spielt sicher auch das Wissen um die Niederlage eine große Rolle. Die Boeing 737 MAX war gewissermaßen der letzte Versuch, die Nase nach vorn zu bekommen, das letzte Aufgebot, und es scheiterte katastrophal. Das hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf Verhalten und Leistung der Mitarbeiter. Menschliche Großorganisationen folgen den gleichen Verhaltensmustern, und ein geschlagener Konzern ist kein wesentlich hübscherer Anblick als eine geschlagene Armee. Eine der Ausdrucksformen wird eine größere Nachlässigkeit sein.

Aber es gibt noch weit gravierendere Veränderungen, die letztlich auch den Sieg von Airbus in einen Pyrrhus-Sieg verwandeln dürften, auch wenn diese Entwicklungen in den Vereinigten Staaten schon weiter fortgeschritten sind.

Die gesamte Industriepolitik der westlichen Länder beruht auf der Annahme, man könne große Teile der "einfachen" Herstellung irgendwohin verbringen, und sich selbst nur noch auf die "komplizierten", möglichst hochtechnologischen Produkte konzentrieren. Boeing produziert Flugzeuge in einem weitgehend bereits deindustrialisierten Umfeld; Airbus dürfte, dank der US-Politik, in Zukunft das Gleiche blühen.

Es ist allerdings eine Illusion, man könne einen hoch qualifizierten Bruchteil einer industriellen Landschaft aufrechterhalten, wenn man auf den ganzen Rest verzichtet. Wie will man Flugzeuge bauen, wenn die ganz gewöhnliche Produktion von Gegenständen aus Metall weitgehend verschwunden ist? Es sind noch nicht einmal die Ingenieure, die zu finden schwierig wird, es sind die Facharbeiter. Flugzeugbau und Schiffbau teilen einige der handwerklichen Techniken. Früher konnte der Flugzeugbau aus den Besten wählen. Wenn die ganze übrige Industrie rundherum wegfällt, ist das nicht mehr möglich. Das Personal kann gar nicht mehr die Qualität haben, die es einmal hatte.

Schlimmer noch. In einer deindustrialisierten Gesellschaft, in der die guten Einkommen an die Leute mit den Schreibtischjobs gehen, bleiben nur noch zwei Personengruppen übrig, um die echte materielle Produktion zu stemmen: die wenigen, denen ein Ergebnis, das sie anfassen können, so wichtig ist, dass sie dafür auf Einkommen verzichten, und jene, die es eben nicht an die begehrten Schreibtische geschafft haben.

Es gibt ein berühmtes Foto aus New York, das Bauarbeiter, die einen der Wolkenkratzer errichten, in ihrer Arbeitspause auf einem Stahlträger sitzend zeigt. Hinter ihnen in der Tiefe die Gebäude der Stadt. Es stammt aus dem Jahr 1932, also aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise, und es drückt einen Respekt vor diesen Bauarbeitern aus, der heute undenkbar wäre. Aber es ist dieser Respekt, der das Fundament großer industrieller Leistungen liefert; ein Respekt, der mit Sicherheit zumindest in Spuren noch vorhanden war, als die Boeing 747 ihre große Zeit begann, der aber heute nur noch als vage Erinnerung weiterlebt.

So sehr man sich mit der Frage befasst hat, wie das für Investitionen verfügbare Geld am schnellsten dorthin geraten kann, wo es den höchsten Ertrag bringt, so sehr hat man die kulturellen und sozialen Grundlagen industrieller Kultur nicht nur ignoriert, sondern als unnütz beseitigt. Es ist ironisch, aber wahr, dass die Organisierung der Arbeiterschaft, die es einmal in den Großbetrieben gab, zwar einerseits einen starken Gegner bezüglich der Löhne und der Arbeitsbedingungen erstehen ließ, andererseits aber auch eine ausgeprägte Identifikation. Kein Bemühen um Corporate Identity kann dem auch nur nahekommen. Und je mehr der Wert dieser Arbeit herabgesetzt wird (in Deutschland muss man da nur die Stichworte Leiharbeit und Werkvertrag in die Runde werfen), desto kleiner wird der Spielraum für jene Fortschritte, die nur kollektiv zu erzielen sind. Was bei Verbesserungsvorschlägen aus der Belegschaft anfängt und damit endet, jede reale Erfahrung wieder in den Entwicklungsprozess rückzukoppeln.

Eine deindustrialisierte Gesellschaft, deren Ideal der extrem individualisierte Konsument mit einer gut bezahlten, weitgehend unnützen Schreibtischtätigkeit ist, während lebenswichtige Tätigkeiten wie die einer Putzfrau auf der Intensivstation weder gut bezahlt noch beachtet werden und die biologische Reproduktion der Bevölkerung auf klassischem, biologischem Weg eher unerwünscht ist, weil der Import von Fertigmenschen so viel günstiger scheint, liefert schlicht nicht mehr die Menschen, die es braucht, um verlässlich funktionierende Flugzeuge zu bauen. Das passiert nicht von heute auf morgen, aber es passiert. Nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch hier in Europa; die USA sind da nur der fleischgewordene Blick in die eigene Zukunft.

Es ist nicht Boeing, das keine Flugzeuge mehr bauen kann, es ist die Gesellschaft der Vereinigten Staaten. Der Flugzeugbau ist eine der komplexen Produktionen, die die Folgen dieser Fehlsteuerung recht früh erkennen lassen. Aber man täusche sich nicht – wie lange wird wohl eine Gesellschaft, die einen Flughafen Berlin-Brandenburg und Stuttgart 21 hervorbringt, noch weiter Flugzeuge bauen können, die verlässlich fliegen? Die Akkumulation von Fehlerquellen ist das eine; die Zerstörung der gesellschaftlichen Grundlage der Industrie hat noch einmal eine ganz andere Qualität. Der Fall von Boeing ist nur das Vorspiel.

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