Von Dagmar Henn
Was passiert bei einem Zahlungsverzug der Vereinigten Staaten? Die Frage ist, obwohl gerade wieder aktuell, nicht neu; aber die Bedingungen haben sich in den letzten Jahren gewaltig geändert. Einige der Auswege, die vor einiger Zeit noch nutzbar waren, könnten sich als versperrt erweisen. Klar ist – so riskant wie augenblicklich war eine solche Situation noch nie.
Aber fangen wir von vorn an. Die USA haben bei ihren Schuldverschreibungen einige Vorteile gegenüber den meisten anderen Ländern. Der erste besteht darin, dass die Schulden in ihrer eigenen Währung sind, der zweite, dass sie selbst die gesetzlichen Regelungen verfassen, denen diese Schulden unterliegen. Die meisten Länder des Globalen Südens haben beide Vorteile nicht. Ihre Staatsschulden sind in Devisen nominiert, die erst erwirtschaftet werden müssen, und unterliegen einem Recht, auf das sie keinen Einfluss haben. Welche Folgen das hat, zeigte sich unter anderem im Fall Griechenlands. Während für den Teil der Schuldverschreibungen, die griechischem Recht unterlagen, Verhandlungen mit den Gläubigern vorgesehen waren, die einen Abschlag ermöglicht hätten, war ein Teil dieser Papiere unter US-Recht, sodass diese Gläubiger hätten vollständig bedient werden müssen – eine Situation, die Verhandlungen faktisch unmöglich macht.
Aber zurück zu den USA. Sie können ihre Währung entwerten, und sie können schlicht die Regeln ändern, nach denen die Schuldverschreibungen behandelt werden. Allerdings sind beide Möglichkeiten nur begrenzt nutzbar, weil sie Folgen nach innen wie nach außen haben, die sich wiederum der Beeinflussung entziehen.
Doch beginnen wir mit den Fakten. Es gibt in den USA eine vorgegebene Schuldengrenze, die nur der Kongress verändern kann. Wenn der Kongress einer Erhöhung nicht zustimmt, darf der Staat keine weiteren Schulden aufnehmen. Das betrifft auch Schulden, die genutzt werden, um alte Schuldverschreibungen abzulösen. In dem Moment, in dem Schulden nicht bedient werden, gilt der Bankrott als eingetreten. Nur, dass das nicht ganz so einfach ist.
Die Gesamthöhe der US-Staatsschulden beläuft sich auf etwa 31 Billionen US-Dollar. Davon werden 5,3 Billionen US-Dollar von der Zentralbank FED gehalten. 7,4 Billionen US-Dollar werden von anderen Staaten gehalten, darunter als größter Gläubiger Japan mit noch 1,1 Billionen und China mit noch 859 Milliarden (beide haben im Verlauf des vergangenen Jahres ihre Position reduziert). Das heißt, etwa 18 Billionen US-Dollar sind im Streubesitz, wahrscheinlich größtenteils bei institutionellen Anlegern wie Versicherungen und Pensionsfonds.
Diese Schulden werden in Gestalt von Papieren mit völlig unterschiedlichen Laufzeiten aufgenommen, von wenigen Wochen bis zu dreißig Jahren. Das heißt logischerweise auch, dass nur ein Teil dieser Schulden in absehbarer Zeit fällig ("reif") wird, während andere Teile erst in zehn oder zwanzig Jahren fällig sind. Im Verlauf der nächsten fünf Jahre werden etwa 15 Billionen US-Dollar fällig.
Zurück zum US-Kongress. Der Schuldendeckel, der in den USA bereits seit dem Jahr 1917 existiert, war schon öfter ein günstiges Mittel, mit dem die Opposition der Regierung Zugeständnisse abringen konnte. Die erste Folge, die ein Erreichen dieses Schuldendeckels nach sich zieht, ist, dass der Bundesstaat nicht mehr Geld ausgeben kann, als er einnimmt. Um die Ausgaben schnell zu senken, werden dann meist Museen und Nationalparks vorübergehend geschlossen. Allerdings hängt diese Folge davon ab, wie hoch die Steuereinnahmen sind. Da sich die USA gerade auf dem Weg in eine Rezession befinden, gehen diese zurück, was es schwieriger macht, auch nur vorübergehend diesen Zustand durch Ausgabenkürzungen abzufangen.
Eine Möglichkeit, die es gebe, um einen Zahlungsausfall bei Staatsschulden unauffällig verschwinden zu lassen, bestünde darin, diesen Zahlungsausfall auf jene 5 Billionen US-Dollar zu begrenzen, die von der FED gehalten werden, oder aber alle Papiere, deren Fälligkeit bevorsteht, von der FED aufkaufen zu lassen. Nachdem dieser dann Einnahmen fehlen, würde sie daraufhin neues Geld schaffen – das allerdings um den Preis, die eigene Politik der Inflationsbekämpfung zu konterkarieren.
Technisch betrachtet wäre ein solcher Zahlungsausfall ein Staatsbankrott, unabhängig davon, wie hoch der Schuldenanteil ist, der betroffen ist, oder wer diese Verschreibungen hält. Praktisch würde er … nun, da befinden wir uns in unergründetem Terrain.
Die USA hatten in ihrer Geschichte bereits mehrere Zahlungsausfälle. In den Jahren 1779, 1934 und nach Ansicht einiger Wirtschaftshistoriker auch im Jahr 1973, als unter Nixon die Goldbindung des US-Dollars aufgehoben wurde. Der darauffolgende Wertverlust des US-Dollars verringerte, das ist die Folge des ersten oben erwähnten Vorteils, logischerweise auch den Wert der Schulden, die damit für die USA, die damals noch eine Exportnation waren, handhabbarer wurden.
Die Erwartungen gehen augenblicklich von Zahlungsausfällen für Schulden aus, die Ende Oktober/Anfang November fällig werden. Zu sehen ist das daran, dass die Erträge für diese Papiere in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen sind. Auch die Kreditausfallversicherung ist inzwischen für demnächst fällige US-Papiere deutlich gestiegen. Zwischen dem 19. Oktober und dem 15. November werden etwa 400 Milliarden US-Dollar fällig.
Allerdings: Nie war die ökonomische Position der USA so instabil wie heute. Das Problem der Schuldengrenze taucht gleichzeitig mit einer sich entwickelnden schweren Bankenkrise auf, die bereits jetzt zu größeren Pleiten als die Finanzmarktkrise 2008 geführt hat. Und der Abbau beim Besitz von US-Staatspapieren, der sich bei Japan und China beobachten lässt, zeigt nur die Spitze des Eisbergs. Eines ist im Zusammenhang mit den Bankpleiten sichtbar geworden: Es gibt massive Einlagenabflüsse bei allen US-Banken, und zwar nicht nur von den kleinen hin zu den großen, sondern auch von den großen hin zu … nun, darüber wird nicht geredet. Aber wenn man an die Entwicklung bei Credit Suisse denkt, dürfte es sich um Gelder beispielsweise asiatischer Anleger handeln, die der nicht unbegründeten Überzeugung sind, dass ihr Geld auf US-Banken nicht mehr sicher sei.
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Diese Abflüsse sind einer der unberechenbaren Faktoren in der gegenwärtigen Lage. Wenn man berücksichtigt, dass sich die Bewegung fort vom US-Dollar im globalen Handel im Verlauf des letzten Jahres um das Zehnfache beschleunigt hat, kann man ahnen, was gerade passiert. Eine solche Entwicklung bedeutet auch, dass der Einfluss, den die FED auf die Folgen eines auch nur partiellen Zahlungsausfalls nehmen kann, zurückgeht. 2.000 US-Banken seien eigentlich bankrott, hieß es in den letzten Tagen. Unter solchen Umständen kann sich ein solcher Zahlungsausfall als das Steinchen erweisen, das das ganze Gebäude zum Einsturz bringt.
In Wirklichkeit ist das Eis, auf dem die gesamte westliche Ökonomie steht, wesentlich dünner, als es auf den ersten Blick aussieht. Die Finanzmarktkrise 2008 wurde nicht gelöst, sondern nur durch massive Schaffung von Geld vertagt. Eine Fortsetzung genau jener Geldpolitik, die überhaupt erst zu ihrer Entstehung geführt hatte, denn die Gesamtmenge des Geldes weltweit beträgt ein Vielfaches der weltweit vorhandenen realen Werte, und bei diesem überschüssigen Geld handelt es sich vor allem um US-Dollar. Um nach dem Jahr 2008 den für ein vorzeigbares Wachstum erforderlichen Wertzuwachs zu simulieren, wurden nicht nur Staatsanleihen, sondern auch Aktien von der Fed aufgekauft. Nicht nur der US-Staatshaushalt ist ungedeckt – sogar "undeckbar" – auch das vermeintliche Wachstum der Internet-Giganten wie Google, Facebook und so weiter beruhte auf der Geldschöpfung, durch die sie zwar immer noch an Macht und Einfluss gewonnen haben, aber nur so lange, bis jemand echte Werte sehen will. Das ist auch der Grund, warum selbst durch eine massive Besteuerung der Spekulationsgewinne das Problem nicht gelöst werden kann – auch als Steuern sind diese fiktiven Werte nicht real.
Was nach dem Jahr 2008 passierte, war so etwas wie ein westlicher Schweigepakt. Solange niemand von uns hinsieht, ist da kein Problem. Solange weiter US-Dollar gedruckt werden können, ist da kein Problem. Das funktionierte halbwegs, solange das geschaffene Geld in der Welt der Spekulationsblasen blieb und der Lebensstandard der Bevölkerung langsam weiter gedrückt werden konnte. Die Versuche, die Corona-Raubzüge zumindest etwas abzupuffern (was im Interesse der politischen Stabilität unvermeidlich war), brachten aber genau die Inflation, die all die Jahre schon im Hintergrund lauerte. Und damit saßen zumindest die westlichen Zentralbanken zwischen zwei Stühlen, denn jeder Schritt zur Bekämpfung der Inflation bedrohte die Spekulationsblasen, und jeder Schritt zur Aufrechterhaltung der Spekulationsblasen würde die Inflation weiter anfeuern.
Alle "Rettungsmaßnahmen" nach dem Jahr 2008 hatten eine Voraussetzung: die Dominanz des US-Dollars. Die normale Reaktion, wenn ein Land (oder eine Gruppe von Ländern) seine Zahlungsfähigkeit durch Gelddrucken erhält, wäre, dass diese Währung niemand mehr haben will, sie würde im Verhältnis zu anderen Währungen massiv an Wert verlieren. Das geschah mit dem US-Dollar nicht, weil zu große Teile des Welthandels in dieser Währung abliefen, sprich, die Konsequenz, diese Währung zu umgehen, gar nicht gezogen werden konnte. Anfang des Jahres wurden nur noch 47 Prozent des globalen Handels in Dollar abgewickelt. Gesetzt den Fall, dass die jüngste Beschleunigung ein Indiz für eine exponentielle Entwicklung ist, könnte dieser Anteil noch im Verlauf dieses Jahres auf ein Drittel oder weniger fallen.
Unter diesen Voraussetzungen stellt das traditionelle parlamentarische Spiel um den Schuldendeckel ein völlig unberechenbares Risiko dar. Ob irgendwelche Ratingagenturen einen partiellen Zahlungsausfall zum Anlass nehmen, die Bewertung der USA nach unten zu korrigieren, ist da geradezu nur noch Dekoration. Was, wenn der Zahlungsausfall dazu führt, dass in großem Maßstab US-Staatsanleihen abgestoßen werden? Mehr noch, was, wenn das, ganz jenseits der ohnehin gegebenen ökonomischen Risiken, eine zu appetitliche Gelegenheit für geopolitische Kontrahenten ist, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen? Selbst Japan könnte da in Versuchung geraten. Insbesondere, wenn die Prognose lautet, dass diese Papiere ohnehin in absehbarer Zeit wertlos sind. Und nachdem die USA einen Krieg gegen China geradezu bereits angekündigt haben, wäre es auch dort eine einfache Überlegung, ob ein Verlust von 859 Milliarden US-Dollar nicht immer noch günstiger ist als ein Krieg.
Aus US-amerikanischer Sicht wäre ein baldiger Bankrott günstiger als ein späterer, denn die beiden Entwicklungen, der Währungswechsel im globalen Handel und der Geldabzug aus westlichen Banken, würden selbst ohne einen weiteren Schub der Beschleunigung einen Punkt erreichen, an dem sie sämtliche bisherige Strategien, das Finanzsystem aufrechtzuerhalten, nutzlos werden lassen. Ein Zahlungsausfall morgen ist günstiger als einer in drei Monaten, und unermesslich günstiger als einer in einem Jahr.
Aber der Zeitplan scheint für den Augenblick gesetzt, ein Erreichen des Schuldendeckels frühestens im Juni und ein Zahlungsausfall im Oktober. Bis dahin könnte es noch den einen oder anderen Faktor geben, der noch nicht in der Rechnung enthalten ist, wie eine Niederlage der Ukraine oder Reaktionen auf die womöglich gegen China geplanten Sanktionen. Es ist nicht so, als würde die Politik der Vereinigten Staaten oder des kollektiven Westens von intelligenten Menschen betrieben, im Gegenteil: Im Verlauf der letzten 18 Monate wurden mit den Sanktionen gegen Russland so viele Entscheidungen getroffen, die die ohnehin schon vorhandenen Abkopplungstendenzen des Globalen Südens beschleunigt haben, dass man sich fast fragen könnte, ob die Neokons ganz heimlich doch eine trotzkistische Kabale zur Zerstörung der Vereinigten Staaten sind (und der Ukraine).
Sollte, was nicht ausgeschlossen werden kann, der Moment der Explosion der aktuell reifenden Bankenkrise mit dem Problem Schuldendeckel zusammentreffen und sich dann herausstellen, dass selbst bei einer raschen Einigung im US-Kongress, den Deckel zu erhöhen, die Abkopplung leider schon so weit fortgeschritten ist, dass Gelddrucken nicht mehr funktioniert und der Bedarf nach hunderten Milliarden zur Bankenrettung mit den 400 Milliarden zusammentrifft, die allein zur Deckung der Ende Oktober/Anfang November fälligen Staatsanleihen erforderlich sind, dürften nicht nur die USA, sondern mit ihnen der gesamte Westen einen völligen und abrupten Stillstand erleben. Ob und inwieweit die Welt außerhalb des kollektiven Westens betroffen ist, hängt dann ebenfalls am Grad der Abkopplung. Anders gesagt, je katastrophaler das Ergebnis für den Westen, desto schadloser für den Rest der Welt.
Das bedeutet gleichzeitig, dass der vernünftigste ökonomische Schritt ein sofortiger Ausstieg aus dem Projekt Ukraine und ein völliges Zurückrollen der Sanktionen wäre, sofern das Verhalten in jüngerer Vergangenheit nicht das Vertrauen im Rest der Welt so weit zerstört hat, dass auch dieser Schritt nicht mehr hilft. Sanktionen gegen China, wie sie gerade erst die deutsche Außenministerin Baerbock angekündigt hat, entsprächen in etwa dem Verhalten eines Selbstmordkandidaten, der schon mit geöffneten Pulsadern in der Badewanne liegt, aber zur Sicherheit noch einen angeschlossenen Föhn ins Wasser wirft.
Die theoretische Restwahrscheinlichkeit, dass ein Manöver wie ein Aufkauf der fälligen Schuldentitel durch die FED gelingen kann, leidet unter der Tatsache, dass die meisten Daten, wie eben das Erreichen des Schuldendeckels, öffentlich sind und damit allen Beteiligten ermöglichen, darauf zu reagieren. Und wenn sich eine größere (um nicht zu sagen gewaltige) Krise abzeichnet, ist die erste Reaktion, alles, was in Sicherheit gebracht werden kann, in Sicherheit zu bringen. Jahrzehntelang war der US-Dollar Nutznießer dieses Herdentriebs, nun könnte er ihm zum Opfer fallen.
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Von Dagmar Henn
Man denkt unwillkürlich an die Mitte der 1990er zurück, wenn man die Meldung liest, der US-Senat habe Vorwürfe gegen die Schweizer Bank Credit Suisse erhoben, weil sie teils bis 2020 Konten von Nazis geführt und die Ermittlungen dazu erschwert habe.
Damals, Mitte der 1990er, kam als Erstes das Thema der "nachrichtenlosen Konten" auf; Konten, die beispielsweise deutsche Juden angelegt hatten, um ihr Geld vor den Nazis zu retten, die aber dann dieses Geld nicht wieder in Besitz nehmen konnten, weil sie ermordet wurden. Diese "nachrichtenlosen Konten" wurden über Jahrzehnte hinweg von den Banken weiter gehalten, ohne größere Bemühungen, mögliche Erben zu finden. Nachdem erst dieses Verhalten der Banken zum Skandal wurde, tauchte die Frage auf, wie viel etwa durch Angehörige der SS geraubte Reichtümer ebenfalls auf Schweizer Konten lagen.
Dabei sollte man den moralischen Anspruch dieser Auseinandersetzung nicht ungeprüft hinnehmen – die damalige Kampagne wurde vor allem aus den USA und aus Großbritannien gefördert, und beide waren dabei, ihre eigenen Konkurrenzangebote zur Schweiz zu lancieren, mit Delaware, Virgin Islands und den Kanalinseln, die im Vergleich schon allein deshalb moralisch sauberer wirkten, weil sie Mitte des vergangenen Jahrhunderts dieses Geschäft noch nicht betrieben. Was wie ein Bestreben nach historischer Gerechtigkeit aussah, hatte ganz nebenbei die Wirkung, Finanzströme zu diesen neuen Angeboten umzuleiten.
Im März 2020 hatte Credit Suisse nach Vorwürfen des Simon-Wiesenthal-Zentrums, die Bank halte während des Holocaust geraubte Gelder, eine interne Untersuchung eröffnet. Im Juni 2022 wurde diese Untersuchung "vorübergehend pausiert", und der US-Anwalt Neil Barofsky, ehemaliger Staatsanwalt aus New York, der als Unabhängiger hinzugezogen worden war, wurde im November 2022 entlassen.
Der Haushaltsausschuss des US-Senats erklagte sich Zugang zu den Ergebnissen der Untersuchung. So der Republikaner Chuck Grassley, Mitglied dieses Ausschusses: "Wenn es darum geht, Nazi-Fragen zu untersuchen, verlangt die Gerechtigkeit, dass wir jeden Stein umdrehen. Credit Suisse hat diesen Standard bisher nicht erreicht. Auch wenn Credit Suisse ursprünglich zustimmte, die Beweise für zuvor nicht identifizierte, mit Nazis verbundene Konten zu untersuchen, die das Ergebnis des unaufhaltsamen Strebens des Simon-Wiesenthal-Zentrums nach Gerechtigkeit sind, zeigt die Information, die wir erhalten haben, dass die Bank unnötig rigide und enge Grenzen setzte und sich weigerte, neuen Hinweisen zu folgen, die während der Untersuchung entdeckt wurden."
Die Informationen, die der Senatsausschuss letztlich erhielt, ergaben, dass Credit Suisse Konten von mindestens 99 Personen geführt hatte, die entweder führende Nazis in Deutschland waren oder zu entsprechenden Emigrantengruppen in Argentinien gehörten. Einige dieser Konten bestanden noch bis 2020. Unter den Konteninhabern befand sich mindestens ein in Nürnberg verurteilter Kriegsverbrecher.
Credit Suisse, so der Vorwurf aus dem US-Haushaltsausschuss, habe Hinweise zu Konten von in Bolivien lebenden Nazis nicht verfolgt, habe nicht untersucht, inwieweit Erben Zugang zu diesen Konten gehabt hätten und habe sich geweigert, Namen aus historischen Forschungen über die Rattenlinie der Untersuchung hinzuzufügen.
Nun stellt sich zuerst die Frage, was der US-Senat eigentlich mit einer internen Untersuchung einer Schweizer Bank zu tun hat. Man könnte diese Frage auch umkehren, nachdem auch in dem ursprünglichen Skandal eine entsprechende Einmischung der USA vorlag: Solche Fälle werden genutzt, um für die USA die Position eines globalen Moralwächters zu beanspruchen. Dass der Anlass dafür Naziverbrechen und deren Profiteure sind, liegt vor allem daran, dass sich dieses Thema so vorzüglich eignet, einen solchen Anspruch zu erheben. Auch wenn vor dem Hintergrund der Zuneigung für ukrainische Nazis dieser Anspruch gerade etwas bizarr wirkt.
Wenn man allerdings die historischen Fakten betrachtet, dann dürfte kaum jemand weniger Anspruch auf die Wahrheit in diesem Kontext erheben dürfen als die Vereinigten Staaten. Nicht nur, dass die Rattenlinie – die vom Vatikan betriebene Fluchtstrecke für führende Naziverbrecher nach Lateinamerika – mit Wissen und Billigung der CIA betrieben wurde, sobald es diese gab. Nein, die CIA selbst war Organisator mehrerer Wellen, in denen Nazis und Nazikollaborateure in die USA und nach Kanada gebracht wurden. "Operation Paperclip" war eine davon. In den 1980ern hat der US-Historiker Christopher Simpson ein dickes Buch darüber verfasst, und er kommt auf Zehntausende, die unter dem Schutz der CIA straffrei davonkamen.
Was auch nicht wundern muss, denn die Gebrüder Dulles, deren einer dann Chef der CIA wurde, hatten schon während des Zweiten Weltkriegs für den CIA-Vorläufer OSS in Bern Verhandlungen mit Vertretern der SS geführt, wie man das Personal dieser Verbrecherorganisation vor der Strafverfolgung bewahren könne. Während die einfachen US-Soldaten in den ersten Monaten nach Kriegsende jeden, der durch eine Blutgruppentätowierung als SS-Mitglied kenntlich war, sofort erschossen, waren Teile der US-Regierung bereits damit beschäftigt, möglichst große Teile von SS und Wehrmacht in Sicherheit zu bringen, um sie im Kalten Krieg nutzen zu können. Die Gebrüder Dulles eigneten sich besonders dafür, weil sie bereits seit den 1920ern in der Kanzlei Sullivan & Cromwell mit den Verbindungen zwischen IG Farben und Rockefeller zu tun hatten.
Christopher Simpson beschreibt, wie wichtig die Dokumente waren, die Reinhard Gehlen übergeben hatte, um die Wendung hin zum Kalten Krieg, gegen den Bündnispartner Sowjetunion, zu vollziehen. Gehlen, Nazioffizier und zuständig für Informationen über die Rote Armee, ließ sich 1945 mit mehreren Kisten Dokumenten von den US-Amerikanern gefangennehmen. Diese Dokumente waren gefälscht; durchaus vorstellbar, dass deren Erstellung Teil der Vereinbarungen zwischen den Gebrüdern Dulles und der SS gewesen war. Jedenfalls diente die vermeintliche sowjetische Bedrohung sehr bald als Rechtfertigung, gerade mit den schlimmsten Verbrechern schonend umzugehen. Davon profitierten auch in den Nürnberger Prozessen Verurteilte. Insbesondere die Wirtschaftsvertreter, die die Nazis an die Macht gebracht hatten, waren spätestens 1952 bereits wieder frei.
Danach waren es vor allem die Behörden der DDR, die weiter nach Naziverbrechern suchten. In der Bundesrepublik gelangten sie hingegen wieder in Amt und Würden, so wie auch in der NATO. Dass das Simon-Wiesenthal-Zentrum sich auf die Rattenlinie konzentriert und die weit umfangreichere Operation Paperclip und deren Äquivalente ignoriert, hat sehr viel damit zu tun, dass der tatsächliche Umgang der Vereinigten Staaten mit Nazis im Kalten Krieg möglichst nicht in Erinnerung gerufen werden soll.
Credit Suisse, die jüngst von UBS übernommen werden musste, ist ein billiges Opfer, um wieder einmal ins Gedächtnis zu rufen, dass die Vereinigten Staaten als die entscheidende, für alles überall zuständige moralische Instanz gesehen zu werden wünschen. Aber während in den 1990ern selbst die Zusammenarbeit der CIA mit den Rattenlinien-Emigranten für die argentinische Militärdiktatur bereits in der Vergangenheit lag, besteht heute das außenpolitische Hauptthema in der Unterstützung der Bandera-Ukraine, was es ein wenig schwierig machen sollte, mit dem Finger auf die Schweiz und Credit Suisse zu deuten.
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