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Astana-Gespräche: Humanitäre Lage in Syrien muss Priorität haben
von Karin Leukefeld, Damaskus
Russland, Iran und die Türkei gelten als Garantiestaaten für die Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung und dem Teil der bewaffneten syrischen Opposition, der von der Türkei, westlichen und arabischen Golfstaaten unterstützt wird.
Neben Delegationen der Garantiestaaten, der syrischen Regierung und der bewaffneten Gruppen nahmen als Beobachter Vertreter aus dem Irak, Jordanien und dem Libanon teil, den direkten Nachbarländern Syriens. Die Vereinten Nationen waren durch den UN-Sonderbeauftragten für Syrien, den norwegischen Diplomaten Geir Pedersen, vertreten.
Es handelte sich um das 16. Treffen des Astana-Prozesses, der vor fünf Jahren, zum Jahreswechsel 2016/17 begonnen hatte. Damals hatten bewaffnete Gruppen und ihre Angehörigen den Ostteil Aleppos verlassen und waren nach Idlib evakuiert worden. Russland, die Türkei und Iran verpflichteten sich anschließend, in weiteren Schritten den Krieg in Syrien zu deeskalieren und die dahinter stehenden kontroversen Interessen durch Verhandlungen zu lösen.
Der Astana-Prozess wird von den USA und Verbündeten in Europa und am Persischen Golf abgelehnt. Russland, das im UN-Sicherheitsrat gegenüber der Front der westlichen Veto-Mächte und deren Verbündeten keine Mehrheit für seine Vorschläge erreichen kann, will über das Astana-Format nicht nur die syrischen Kontrahenten, sondern auch regionale Akteure wie Iran und die Türkei einbeziehen, um die Blockade des Westens zu überwinden.
Zahlreiche Themen auf der Tagesordnung
Auf der Tagesordnung des 16. Treffens standen "detaillierte Diskussionen" über die Fortsetzung von Verhandlungen des Syrischen Verfassungskomitees unter dem Dach der Vereinten Nationen in Genf, sagte Alexander Lawrentiew vor Journalisten in Nur-Sultan. Alle Voraussetzungen dafür seien gegeben, Einzelheiten sollten mit dem UN-Beauftragten Pedersen besprochen werden. Weitere Themen der Gespräche waren der Ausgang der jüngsten Präsidentschaftswahlen in Syrien. Russland hoffe, dass der Westen seine Haltung gegenüber Syrien zugunsten größerer humanitärer und sozioökonomischer Unterstützung ändere, sagte Lawrentiew vor Journalisten am Mittwoch. Dafür sollten die wirtschaftlichen Strafmaßnahmen gegen Syrien aufgehoben werden.
Wichtiges Thema auf der Tagesordnung war die Lage in Idlib, der letzten verbliebenen "Deeskalationszone", die unter Vermittlung von Russland, Iran und der Türkei im September 2018 zustande gekommen war. Beobachtungsposten der drei Staaten wurden rund um die Provinz errichtet, um weitere Kämpfe zu unterbinden. Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung und bewaffneten Gruppen in Idlib sollten beginnen, Handel und Personenverkehr, einschließlich der Lieferung von humanitärer Hilfe zwischen Idlib und dem Rest Syriens, sollten wieder aufgenommen werden.
Die Türkei allerdings errichtete ein Vielfaches der verabredeten Beobachtungsposten bis tief auf syrisches Territorium. Die Kooperation der türkischen Armee und Geheimdienste mit den teilweise als terroristisch gelisteten Kampfverbänden wurde offensichtlich. Anfang 2019 kam es zu direkten bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der syrischen und der türkischen Armee, die durch eine russisch-türkische Vereinbarung über einen Waffenstillstand beendet werden konnte. Seitdem ist die Lage in Idlib weitgehend eingefroren.
Die derzeit heftig diskutierte grenzüberschreitende humanitäre Hilfe für Idlib über den türkisch-syrischen Grenzübergang Bab al-Hawa soll nach dem Willen Russlands und Syriens nicht noch einmal verlängert werden. Syrien wird daran gehindert, seine nördlichen Grenzen zu kontrollieren, und hat auch keine Kontrolle über das, was aus dem türkischen Ort Gaziantep in mehr als 1.000 Lastwagen monatlich nach Idlib hineintransportiert wird.
Beide Länder argumentieren, dass die Ausnahmeregelung der "humanitären Korridore" die Souveränität und territoriale Integrität Syriens breche, die Lieferungen seien intransparent und stabilisierten die in Idlib herrschende Terrorgruppe Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS).
Die westlichen Staaten und ihre Verbündeten fordern dagegen nicht nur eine Verlängerung, sondern auch eine Ausweitung der Ausnahmeregelung. UN-Generalsekretär António Guterres erklärte, es gäbe zu der grenzüberschreitenden Hilfe, die vor allem den Inlandsvertriebenen in der nordwestlichen syrischen Provinz Idlib helfen soll, keine Alternative.
Russland schlägt stattdessen eine Intensivierung der innersyrischen frontüberschreitenden Hilfslieferungen vor. Die Entscheidung soll am 8. Juli im UN-Sicherheitsrat fallen.
Dialog im Vordergrund
Weitere Themen der Astana-Konferenz waren ein "konstruktiver Dialog" zwischen der syrischen Regierung und den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) im Nordosten Syriens. Auch die Lage am syrisch-irakisch-jordanischen Grenzübergang al-Tanf müsse gelöst werden, so Lawrentiew. "Bis jetzt hält diese ungünstige Situation in dem Gebiet von al-Tanf an", kritisierte Lawrentiew. "Bis heute gibt es dort eine ziemlich große Zahl von Kämpfern, die den Süden, den Südosten und Südwesten Syriens destabilisieren." Auch die Stärkung vertrauensbildender Maßnahmen, Freilassung von Geiseln und Gefangenen sowie die Suche nach Vermissten standen auf der Tagesordnung in Nur-Sultan.
In zahlreichen Gesprächsrunden wurden die Themen erörtert. Der UN-Sonderbeauftragte Pedersen traf unter anderem mit der syrischen Regierungsdelegation unter Leitung des stellvertretenden Außenministers Ayman Susan zusammen. Susan hob nach Angaben der syrischen Nachrichtenagentur SANA die fortgesetzte Besatzung Syriens durch die Türkei und die US-Streitkräfte hervor. Die Besatzung richte sich gegen das syrische Volk und unterstütze die bewaffneten Regierungsgegner und deren Anhänger. Diese würden die Ressourcen Syriens – darunter Öl, Weizen, Baumwolle, Olivenöl – stehlen und außer Landes schaffen, während die Syrer nicht nur diesen Verlust, sondern auch einseitige wirtschaftliche Strafmaßnahmen (Europas und der USA) zu verkraften hätten.
Auch Wiederaufbau in Syrien hilft humanitär
Der russische Präsidentenbeauftragte Lawrentiew betonte am Donnerstag, die Verbesserung der humanitären Lage in Syrien müsse international Priorität haben. Dabei gehe es nicht nur um die Verteilung von Lebensmitteln und Medikamenten, sondern auch der Wiederaufbau von Schulen, Krankenhäusern, Wohnungen und anderen Projekten sei für die Syrer lebensnotwendig.
Der UN-Sonderbeauftragte für Syrien Pedersen hielt sich erwartungsgemäß mit einer Stellungnahme zurück. Bei einer kurzen Begegnung mit Journalisten nach seinem Treffen mit den Vertretern der Garantiemächte Russland, Iran und Türkei betonte Pedersen die "sehr guten Diskussionen" mit den drei Delegationen. "Sie wissen ja, ich war erst kürzlich in Rom, wo ich ebenfalls gute Diskussionen mit den Amerikanern, den Europäern, den Arabern, der Arabischen Liga und der Europäischen Union hatte", so Pedersen. In Rom habe er "die gleiche Botschaft gehört, die ich hier höre. Mein Team, mein Büro, meine Arbeit wird unterstützt". Das sei wichtig für den weiteren politischen Prozess und das Verfassungskomitee.
In Sachen grenzüberschreitender Hilfe nach Syrien habe er die UN-Haltung sehr klar gemacht, dass die Maßnahme für weitere zwölf Monate verlängert werden müsse. Er warnte die Medien davor, die "humanitären Korridore" und die Frage des Verfassungskomitees zu verbinden. Das eine sei "strikt humanitär", das andere sei "Teil eines weiteren politischen Prozesses" wie in der UN-Sicherheitsratsresolution 2254 vorgesehen. "Ohne die beiden Themen zu verbinden hoffe ich, dass wir an beiden Fronten Erfolg haben werden."
UNSR 2254 nicht mehr zeitgemäß
In Syrien werden die Astana-Gespräche und die internationalen Debatten im UN-Sicherheitsrat über Syrien skeptisch gesehen. Viele Menschen sind so mit den Sorgen des Alltags beschäftigt, dass sie sich überhaupt nicht mehr um politische Debatten und Erklärungen kümmern. Der Vorsitzende der syrischen UN-Gesellschaft George Jabbour präzisierte seine Zweifel im Gespräch mit der Autorin in Damaskus. Die UNSR-Resolution 2254 sei vor sieben Jahren relevant gewesen, aber die Lage in Syrien habe sich geändert. Damals sei die Einbeziehung von oppositionellen Kräften wichtig gewesen, doch bei den letzten Präsidentschaftswahlen habe sich gezeigt, dass Präsident Assad das Vertrauen der Mehrheit der Syrer genieße. Ob man Assad möge oder nicht, das sei eine Tatsache.
Die wichtigste Aufgabe des UN-Sicherheitsrates sei heute, die Einheit Syriens zu respektieren. Entsprechend optimistisch wolle er den Astana-Prozess bewerten, so Jabbour weiter. Allerdings halte er es nicht für richtig, "dass die syrische Regierung und die andere Seite der bewaffneten Opposition so behandelt würden, als seien sie gleich bedeutsam". Das aber sei nicht der Fall, so Jabbour. "Die bewaffnete Opposition hält sich nur mit Unterstützung des Auslands. Baschar al-Assad wurde hier in Syrien von der Mehrheit zum Präsidenten gewählt."
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