Jahrhundertprojekt – „Die neue Seidenstraße“

 
Die Rückkehr des Kontinents und Repositionierung raumferner Mächte

von Friedrich P. Ost

Zwei Jahrhundertmodelle im Vergleich

Die Gnade der rechten Geburt gestattet gleich zwei Jahrhundertprojekte zu beleuchten: Zum einen ‚100 Jahre Neue Weltordnung, die unter Woodrow Wilson durch die Kriegserklärungen der USA an das Deutsche Reich am 6. April 1917 und an die Österreichisch-Ungarische Monarchie am 7. Dezember 1917 ihren Ursprung fand. Zum anderen die ‚Belt & Road Initiative (BRI) – ein globales Projekt zur Erschließung der Kontinente – welches die chinesischen Staatsführung im Jahr 2013 der Weltöffentlichkeit vorgestellt hatte.

Das Paradies auf Erden, wie einst vom amerikanischen Präsidenten verheißen, ward nie gesehen. Ganz im Gegenteil: 100 Jahre später gleicht die EU einer Wagenburg, die in ihrer (französischen) Mitte schon in Flammen steht – während die Länder der Peripherie, wie Ukraine, Syrien, Irak, Yemen oder Libyen in Schutt und Asche liegen. Frankreich erklärte im November 2015 den Ausnahme- und Kriegszustand und schaffte es dank Artikel 42.7 der Beistandsverpflichtung des EU Vertrages von Lissabon selbst Deutschland in den Krieg zu ziehen. So hat sich der Traum vom sogenannten ‚Friedensprojekt EU‘ sehr schnell in Rauch und Flammen aufgelöst:

Debut des Friedensprojekts EU am 28.11.2020 in Paris:

Ein Branch der Nationalbank Frankreichs in Flammen
Quelle: www.youtube.com/watch?v=wQ9seE–OLg

Doch das europäische Modell der liberalen Marktwirtschaft scheint gleichfalls vor dem Aus zu stehen: Die mit dem atlantischen Casinokapitalismus verzahnten europäischen Volkswirtschaften werden von Zentralbanken beherrscht, die auf die Geldpresse setzen und bis zum Zusammenbruch sich nur von einer Finanzkrise zur nächsten quälen. Selbst ein Smart Virus mit geballter Medienhysterie vermochte nur kurzfristig abzulenken, doch hat unter dem Strich besagte Finanzmisere noch weiter verschärft.

Die Kulturnation China und zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt hat die besagten Kalamitäten erkannt und die internationale Staatengemeinschaft zur Teilnahme an der globalen Industrialisierungsinitiative im neuen Jahrtausend eingeladen: Diese bezweckt mit den Mitteln der Realwirtschaft fehlende Infrastruktur aufzubauen, bisher vernachlässigte Regionen zu erschließen, das heißt durch Industrialisierung der Weltwirtschaft insgesamt neue Impulse zu verleihen. Es gilt die Grundidee der antiken Seidenstraße mit modernen Mitteln neu zu gestalten, bisher vernachlässigte Regionen durch Wirtschaftskorridore zu verbinden und Industrialisierung nachhaltig voranzutreiben. Der erste Schritt sieht vor Eurasien durch sechs Landkorridore zu verbinden und über die sogenannte ‚Maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts‘ auch Afrika und die raumfernen amerikanischen Kontinente stärker noch einzubinden. Bisher haben sich schon mehr als 150 Staaten samt internationalen Organisationen der chinesischen Initiative angeschlossen.

Der Destabilisierungsbogen als Eiserner Vorhang 2.0 soll die Landverbindungen nach Europa kappen!

Geschichtlicher Rückblick

Es war vor 500 Jahren als aufstrebende Seemächte im Kampf um globale Vorherrschaft gegen die bisher alles beherrschende Landmächte antraten: Im Jahr 1492 entdeckte Christoph Kolumbus Amerika. Fünf Jahre später umrundete Vasco Da Gama Afrika auf seiner Suche eines Seeweges nach Asien, nachdem die Osmanen 1452 Konstantinopel erobert, das Oströmische Reich niedergeworfen und Europa von der Seidenstraße abgeschnitten hatten. Die neue Seeroute nach Asien führte um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien/Goa, durch die Straße von Malakka nach China/Macao und weiter bis Japan/Nagasaki. Jene Entdeckungen leiteten einen Paradigmenwechsel größter historischer Tragweite ein: Die bis dahin für unmöglich gehaltene Machtverschiebung von bisher übermächtig erscheinenden Landmächten zu anfänglich schwach wirkenden See- & Randmächten sollte nach nur 400 Jahren ganz vollzogen sein.

Davor waren es die Landmächte, welche die Geschichte schrieben: Rom, das im 1. Jahrhundert die Küstengebiete rund um das Mittelmeer kontrollierte stand mit dem China der Han Dynastie über ein Netz von Landverbindungen in regem wirtschaftlichen Verkehr. Das römische Handelsdefizit mit China veranlasste Kaiser Tiberius (42 AC – 37 AD) per Dekret den Import von Seide aus China zu drosseln, um dem zu hohen Abfluss römischer Goldreserven entgegenzuwirken: Man schätzt heute, dass China im 1. Jahrhundert AD aus dem Seidenexport rund fünf Millionen Unzen römischen Goldes – nach heutigem Wert ca. 5 Milliarden Euro – an Einnahmen erzielte. Der Name ‚Seidenstraße wurde im Jahr 1877 vom deutschen Geologen Ferdinand von Richthofen, einem Onkel des Roten Barons – dem Jagdfliegerass aus dem 1. Weltkrieg – erstmals geprägt.

Der Aufstieg von Byzanz

Der Einfall der Hunnen in Europa löste die Völkerwanderung aus und führte im Jahr 476 AD zum Fall von Rom. Der Untergang des Weströmischen Reiches machte Ostrom mit seiner Hauptstadt Byzanz zum neuen Zentrum römischer Macht und abendländischer Kultur. Begünstigt durch seine Lage am westlichen Knotenpunkt der Seidenstraße stieg Konstantinopel zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert zur reichsten Stadt Europas auf, während China unter der Tang Dynastie (618 – 907) sein ‚Goldenes Zeitalter erlebte. Nicht zufällig war die römische Metropole auf einer geographischen Grenze genau zwischen Asien und Europa gelegen.

China war zu jener Zeit in seiner zivilisatorischen Entwicklung Europa um hunderte Jahre voraus. Es beherrschte exklusiv Technologien und Fertigkeiten, wie sie im Schiffsbau oder für die Herstellung von Papier, Druck- oder Textilmaschinen, Schießpulver oder dem Kompass erforderlich waren. Während im Jahr 1200 in Europa nur 8 Millionen Deutsche lebten, zählte China zu jenem Zeitpunkt schon 115 Millionen Einwohner. Auch hatte China schon 1000 Jahre zuvor gemäß dem konfuzianischen System begonnen, seine Verwaltungsbeamten nach einem leistungsorientierten Prüfungssystem auszuwählen, während im heutigen degenerierten Europa ein Quotensystem nach geschlechtlicher Abstammung mit umgekehrten Leistungskriterien auf breiter Front Einzug hält.

Die Mongolen, welche im Jahr 1219 Peking, 1237 Kiew und 1258 Bagdad eroberten, errichteten ein Großreich, welches von Ostasien bis nach Europa reichte. Die ‚Pax Mongolia mit ihren gesicherten Handelsrouten zwischen Ost und West vermochte wirtschaftlichen und kulturellen Austausch auf neuen Höchststand zu bringen. Marco Polo (1271 – 1295) konnte über die Seidenstraße an den mongolischen Hof gelangen und es war der mongolischer Diplomat und Gesandte Rabban Bar Sauma, der in Gegenrichtung Europa erreichte, um ein Bündnis zwischen Franken und Mongolen gegen die Mameluken zu initiieren. Obwohl der Mission kein Erfolg beschieden war, konnte Rabban Bar Sauma im Jahr 1287 in Byzanz Kaiser Andronikus II Palaiologos, in Paris König Philipp den Schönen von Frankreich, in Bordeaux König Eward I von England und im Jahr darauf selbst Papst Nikolaus IV im Vatikan treffen: Der neue Papst zeigte sich erfreut von der Verbreitung des Christentums in Asien zu erfahren, bereichert um die Mitteilung, dass sich gleich mehrere Christinnen unter den Frauen des mongolischen Khans fanden. So sahen die Völkerverbindungen vor 735 Jahren im Gegensatz zu heute aus.

Der Rückzug der Mongolen und Einfall der Osmanen, die im Jahr 1452 zum Fall Konstantinopels und Untergang des Oströmischen Reiches führten, sollte zugleich das Ende der Seidenstraße bedeuten. Die Osmanen setzten ihren Vormarsch in Richtung Mitteleuropa fort: Der Sturm auf den ‚Goldenen Apfel – wie Wien von den Osmanen sehnsuchtsvoll genannt wurde – konnte im Jahr 1529 und nochmals 1683 nur unter großen Anstrengungen abgewehrt werden. Dazwischen lag der 30-jährige Krieg (1618 – 1648), welcher die Bevölkerungen Europas stark dezimierte und weite Landstriche nur komplett verwüstet zurück ließ.

Im Jahr 1500 war China mit rund 125 Millionen Bewohnern die führende Macht und erwirtschaftete 25% des Weltbruttosozialprodukts, wobei der Schwerpunkt der Weltwirtschaft, wie schon in den 1500 Jahren davor, stets noch in Zentralasien lag.

Schwerpunktverlagerung der Weltwirschaft vom Jahr 0 bis 2030

Der globale Weltwirtschafts-Schwerpunkt lag in jener geographischen Zone, welche der britische Geograph und Geopolitiker Sir Halford John Mackinder (1861 – 1947) als Herzland (Pivot Area) bezeichnet hatte – siehe nachstehende Abbildung:

Die Franzosen zählten zu jener Zeit rund 18 Millionen Einwohner, das Habsburger Reich 12 Millionen Deutsche und die Zahlen der künftigen Seemächte lagen noch deutlich darunter: Spanien konnte 8 Millionen Einwohner, Portugal eine Million und England und Wales zusammen gerade einmal zwei Millionen Bürger auf die Beine stellen.

Jene schwache Ausgangslage potentieller Seemächte an der inneren und äußeren Peripherie – von Mackinder als ‚Outer-‘ und ‚Inner Crescent bezeichnet – wurde von Geostrategen besagter raumfernen Mächte, sprich der mittlerweile emporgekommenen Seemächte - im 19. und 20. Jahrhundert geopolitisch thematisiert: Mackinder forderte möglichen Allianzen unter den eurasischen Kontinentalmächten präventiv entgegenzuwirken, weil das typische Kampfinstrument der Seemächte, wie vor allem See- & Versorgungsblockaden, gegen eine kontinentale Mächteallianz wirkungslos bleiben mussten: Die benötigten Waren und Güter würden in einem solchen Fall von den Kontinentalmächten einfach auf dem Landwege hin – oder her verschoben und so in die Lage versetzt allfällige Blockaden zur See erfolgreich zu unterlaufen. Ein Destabilisierungsbogen, der sich heute von der Ukraine über Syrien bis nach Libyen zieht, soll genau einer solchen Mächtekonzentration, z.B. zwischen Russland und Deutschland, vorbeugend entgegenwirken. Siehe zweite Abbildung mit dem dort eingezeichneten Destabilisierungsbogen.

Nach konservativen Schätzungen waren Nord‑, Mittel- und Südamerika im Jahr 1500 mit rund 54 Millionen Menschen bevölkert, die zwar den Eroberern aus dem ‚Inner Crescent‘(inneren Randstaaten), sprich Spanien und Portugal weitestgehend zum Opfer fielen, doch durch Arbeitssklaven aus Afrika samt weißen Vertragsknechten –  das sind indentured servants & defacto Zeitsklaven – aus Europa ersetzt werden konnten.

Der Zeitalter der klassischen Seemächte (1500 – 1920)

Die Blockade der Seidenstraße durch die Osmanen beschleunigte die Isolation der euroasiatischen Kontinental- & Landmächte, zum Vorteil der aufsteigenden Seemächte, die wie Portugal, Spanien und die Niederlande zu den führenden Kolonialmächten aufstiegen, doch nach ihrer Überdehnung von Großbritannien abgelöst wurden. Wie der britische Autor Stuart Laycock in seinem Buch ‚All the Countries Weve ever Invaded(‚Alle Länder, die wir je überfielen‘) ausführt, blieben von den derzeit 196 Staaten dieser Welt bisher nur die Landstriche von 22 heutigen Ländern im Laufe ihrer Geschichte vor einem Angriff aus Großbritannien verschont. Das sind dann glückliche Gebilde, wie Andorra oder die Marshall Inseln.

Großbritannien verstand es glänzend das Globalisierungsmodell des maritimen Welthandels über die Kontinente, wie es Spanien mit seinem Dreiecks-Handel  eindrucksvoll begründet hatte, mit Hilfe der Industrialisierung zur Spitze zu treiben und im 19. Jahrhundert zur führenden Weltmacht aufzusteigen (Anmerkung: Der englische Fachbegriff Columbian Exchange wurde – wohl aus Gründen des politisch korrekten Bildungsauftrages – bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt, wobei der exotisch klingende Hilfsbegriff „Kolumbianischer Effekt“ einer deutschsprachigen Leserschaft nur wenig geläufig sein dürfte). Im Zuge der Opiumkriege (1839 – 1842 bzw. 1856 – 1860) gelang es Großbritannien China mit militärischen Mitteln bengalisches Opium als Zahlungsmittel aufzuzwingen. Im 2. Opiumkrieg wurde zusammen mit Franzosen der Sommerpalast in Peking geplündert und niedergebrannt und China zu einem Protektorat degradiert. Heute wird in China unter dem Synonym ‚Jahrhundert der Erniedrigung (1839 – 1949) an die kolonialen Vorgehen und Verbrechen jener Epoche erinnert, was die eifrigen Schulmeister sogenannter „westlicher Werte“ nur gerne verdrängen. Die Verlagerung des globalen Weltwirtschafts-Schwerpunktes ab dem Jahr 1820 in Richtung Westen/Atlantik ist jener Niederwerfung Chinas geschuldet – siehe Grafik mit Zeittafeln und der Zone ‚Aufstieg des Okzidents‘.

 Griff nach alleiniger Weltmacht – das atlantische Modell

Der Spanische-Amerikanische Krieg (1898) und der Philippinisch-Amerikanische Krieg (1899 ‑1902) sind erst im Kontext der erstmals erfolgten informellen Absprachen zwischen Briten und US-Amerikanern in Bezug auf die geplante Weltmachtrolle im künftigen ‚Amerikanischen Jahrhundert‘ (1900 – 2000) voll und ganz zu verstehen. Jener inoffizielle Pakt führte zum ersten Genozid des 20. Jahrhunderts, wobei das philippinische Volk eine Million ermordeter Zivilisten durch US Truppen bei einer damaligen Gesamtbevölkerung von insgesamt sieben Millionen zu beklagen hatte. Ein Detail der Geschichte, welches atlantische Staatshistoriker sehr gerne nur übersehen.

Die Entscheidung der Kontinentalmacht USA sich in der Nachfolge Großbritanniens als die kommenden Weltherrscher zu sehen, wurde gegen heftige Widerstände über die Köpfe der US Bevölkerung sowie von Protagonisten, wie z.B. Mark Twain als Vizepräsident der im Jahr 1898 in Boston gegründeten Anti-Imperialisten Liga rigoros durchgesetzt. Die Kolonialisierung der Philippinen sollte den Auftakt bilden: Wenige Jahre später im Jahre 1917 waren dann die Achsenmächte auf der anderen Seite der ‚Weltinsel‘, wie Mackinder den afro-eurasischen Kontinent zu nennen pflegte, an der Reihe und den militärischen Schlägen der USA auf ihrem Kreuzzug zur Weltmacht ausgesetzt.

Der 1. Weltkrieg – von britischen Historikern zum dreißig-jährigen Krieg gedeutet – sollte auch nicht 1945 enden. Schon ab dem Jahr 1950 ging es wirtschaftlich mit dem Westen bergab. Siehe die erste Abbildung oben: Brauchte Großbritannien ab dem Jahr 1820 130 Jahre, um mit Hilfe der Weltwährung ‚Opium samt USA den Schwerpunkt der Weltwirtschaft von Zentralasien in den Atlantik zu verschieben, so benötigte China bzw. Japan und Korea nur 77 Jahre um „den kurzen Marsch“ des Schwerpunkts zurück ins ‚Herzland‘ zu realisieren. Die vermeintliche Pax Americana hat im praktischen Ablauf dazu geführt, dass die USA die Kriege organisierten, während den Europäern die Aufräumarbeiten rund um das darüber verursachte Flüchtlingselend überlassen blieb: Trotzdem hat der Irakkrieg den Vereinigten Staaten über 15 Jahre noch rund 816 Milliarden US Dollar und der Krieg in Afghanistan weitere rund 685 Milliarden gekostet.

Alternativen zum atlantischen Weltherrschaftsmodell

Vor jenem Hintergrund, kann die internationale Staatengemeinschaft China nur danken im Jahr 2013 ein alternatives Zukunftsmodell vorgeschlagen zu haben: China lädt alle interessierten Staaten ein, sich an der neuen ‚Belt & Road Initiative (BRI) nach dem Motto „zum Nutzen von allen – durch alle – für alle“  zu beteiligen.

Sir Halford John Mackinder scheint es geahnt zu haben, als er am 25. Januar 1904 vor der Royal Geographical Society (Königlich Geographischen Gesellschaft) in London einen Vortrag hielt und ausführte: „…Aber transkontinentale Eisenbahnen verwandeln gerade die Lage der Landmacht, und nirgends mit solchem Effekt wie im geschlossenen Herzland von Eurasien… In Bezug auf den Handel darf nicht vergessen werden, dass der Seetransport, wie billig auch immer, normalerweise den vierfachen Umschlag bedeutet – vom Ursprung des Herstellers zum Exporthafen und vom Importhafen zum Inlandslager; hingegen die kontinentale Eisenbahn direkt vom Hersteller zum Lager des Importeurs fährt….“.

Doch geht die Initiative weit über die Errichtung von Einzelprojekten hinaus – BRI will mehr: Die Einbindung bisher vernachlässigter Regionen und Menschen, wobei 80% aller Erdbewohner von der Globalisierung bisher noch ausgeschlossen sind. Nach Daten der Weltbank wird 80% der Weltwirtschaftsleistung entlang eines nur 100 km breiten Küstenstreifens global erbracht. Deshalb verfielen die Binnenregionen Eurasiens schnell, nachdem die ‚Mauer der Osmanen‘, wie jene Sperre der antiken Seidenstraße ab dem 15. Jahrhundert auch genannt wurde, die Verlagerung des Handels auf die See und das Zeitalter der Seemächte auslöste.

Ein Blick bei Nacht aus dem Weltall zeigt: Viel Licht im Ostteil der USA, in Europa sowie in Ost- und Südasien, dazu noch an manchen Küsten, doch restliche Landstriche versinken im Dunkel. Siehe die folgende Abbildung aus dem All:

Doch die Verwerfungen reichen viel tiefer: Zwischen Asien und Südamerika existiert kein einziges Fieberglas Unterwasserkabel, sodass Verbindungen nach Asien noch über die USA zu laufen haben. Oder: Nur vier Länder verfügen über eigene Internetsuchmaschinen: USA, Russland, China und Korea – kein europäisches Land befindet sich darunter.

Neue Lösungen und Methoden sind gefragt, um in Zukunft die Industrialisierung bisher vernachlässigter Binnenregionen nachzuholen. Die BRI Initiative bietet Lösungen an und steht für konstruktive Zusammenarbeit und Wohlstand für alle. Für Eurasien ist die Errichtung von sechs Wirtschaftskorridoren mit Autobahnen, Hochgeschwindigkeitszügen, Telekommunikation, Pipelines sowie Ansiedelungen von Industriezonen geplant, die über Seehäfen auch mit der ‚Maritimen Seidenstrasse des 21. Jahrhunderts zu verbinden sind.

Die antike Seidenstraße mit ihrem Netz an Landrouten und dem Schwerpunkt auf dem eurasischen Kontinent prägte von 200 AC bis 1500 AD die Globalisierung 1.0. Die Globalisierung 2.0 von 1500 AD – 2000 AD erweitert um die amerikanischen Kontinente, war auf den Handel zur See bzw. die Staatsdoktrin der westlichen Seemächte zentriert. Das Jahrhundertprojekt BRI dagegen steht für die Globalisierung 3.0, welches die Einbindung aller Länder von den Küsten bis ins Binnenland zu Lande, zur See und in der Luft bis inklusive den Weltraum verspricht.

Die Einladung an raumferne Mächte

Neben wirtschaftlicher Entwicklung und Integration zielt die Belt & Road Initiative darauf ab, die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen der vergangenen 500 Jahre durch internationale Kooperation auf friedlichem Weg zum Nutzen aller Beteiligten zu beheben. Momentan läuft 90% des Welthandels noch über die Meere. 80% aller Rohölimporte nach China müssen durch die Südchinesische See entlang vieler Inseln, kurz ‚choke points‘(maritime Engstellen) genannt, was jedoch den Zielstaat im Fall von möglichen Unterbrechungen dem Risiko von Versorgungsengpässen aussetzt.

Der niederländisch-amerikanische Geostratege Nicholas Spykman (1893 – 1943) entwickelte in der Zwischenkriegszeit eine Geostrategie für die USA, die sich teilweise von den Theorien Mackinders unterscheidet bzw. den inzwischen veränderten Verhältnissen Rechnung trägt. Neben dem Herzland (‚heartland‘), welches, wie bei Mackinder, in Zentralasien liegt, ist für Spykman die Kontrolle des Küstenlands (‚rimland‘) von größerer Bedeutung, weil dort rund 80% der Weltwirtschaftsleistung liegen. Gleich Mackinder sieht er die Welt nach dem Ende der Entdeckungen als ein geschlossenes System, das jedoch aufgrund der zwischenzeitlichen technischen Entwicklung neben der Luftfahrt noch um den Weltraum zu erweitern ist. Die von Mackinder bezeichnete innere und äussere Peripherie (‚inner and outer crescent‘), nennt Spykman ‚raumferne Inseln und Kontinente‘ (‚off-shore islands and continents). Und Spykman postuliert, dass wer immer die Küstenländer (rimlands) kontrolliert, Eurasien kontrolliert und wer Eurasien beherrscht, die Welt dominiert.

Der kürzlich verstorbene amerikanische Politologe Zbiginiew Brzezinski baute auf den Theorien von Spykman auf: In seinem Buch ‚The Great Chessboard/Das grosse Schachbrett (1997) fordert er ein ‚Trans-Eurasian Security System‘(TESS – Transasiatisches Sicherheitssystem) zur „Erweiterung der NATO“ in Richtung Herzland. Kleines Detail am Rande: Deutsche Bahn und Hamburger Hochbahn zwangen im Januar 2016 den KOPP Verlag aus Ulm 592 Werbeplakate für jenes Buch Brzezinskis in deutscher Übersetzung mit dem Titel ‚Die einzige Weltmacht‘ (ISBN-13: 9783864452499), ohne Angabe von Gründen, wieder abhängen zu lassen.

1999 ging der ‚Silk Road Strategy Act‘ (Seidenstrasse Strategie Gesetz) durch den US Kongress, der versehen mit Ergänzungen aus den Jahren 2003 und 2006 die Interessen der USA im Südkaukasus und Zentralasien abstecken soll. Die im September 2002 verabschiedete US ‚National Security Strategy‘ (Nationale Sicherheitsstrategie), besser unter dem Namen Bush Doktrin‘ bekannt, droht globale Kontrahenten auch präventiv angreifen bzw. ausschalten zu wollen, sollten diese versuchen, der USA auf Augenhöhe gegenüberzutreten.

Für ihren Abzug aus Afghanistan schlugen die USA 2011 eine ‚New Silk Road Initiative‘ (Neue Seidenstrasse Initiative) vor, was China schlussendlich dazu bewog, ihr Vorhaben im Jahr 2013 mit einem Namen ohne Gefahr auf Verwechslung, nämlich die Belt & Road (Landgürtel & Seeroute) Initiative benennen zu lassen.

Das umfassende neue Konzept der BRI, welches für die besondere Einbindung aller und eine Globalisierung 3.0 steht, lässt erwarten, die Schwächen der alten Welt(un)ordnung, die eine unausgewogene industrielle Verteilung zwischen Küstenregionen und Binnenländern strategisch festschrieb und auf dem Gegensatz zwischen landbasierten und seebasierten Kulturen beruhte, endgültig und gemeinsam zu überwinden. Es sollte gelten besagte Disparitäten aufzuheben und das Binnenland, die Küstenregionen und zu guter Letzt die Ozeane mit ihren überlebenswichtigen Ressourcen und künftig auch den Weltraum unter Einbindung aller verfügbaren Kräfte gemeinsam zu bewirtschaften. Das will die Belt & Road Initiative bewirken!

Friedrich P. Ost ist diplomierter Wirtschaftsexperte und beschäftigt sich mit Fragen der Politik und Zeitgeschichte. Er ist Autor zahlreicher Publikationen und Analysen über globale Entwicklungen, Hintergründe sowie politische Trends.

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