Analysen 21.-28.5.20: Der große Krieg ums Öl/ Frankreich: Das große Abwandern der Industrie/ Zürich/Bern: Psychologische Kriegsführung durch INSZENIERTE VERHAFTUNGEN?!/ Rainer Rupp: Wiedergeburt des IS stärkt US-Position im Irak 1-3
Meinung
Der große Krieg ums Öl
von Pierre Lévy
Am 6. März brach das erste Scharmützel in Wien am Sitz der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC, der unter anderem Saudi-Arabien, der Iran, der Irak, Libyen, die Vereinigten Arabischen Emirate, Venezuela und Nigeria angehören) aus. Riad lud die Mitglieder der Organisation zu einer Dringlichkeitssitzung ein; eingeladen waren auch die Mitglieder der "OPEC+", einer im Jahr 2016 geschaffenen Erweiterung um zehn zusätzliche Länder, der insbesondere auch Russland angehört. Die Verwüstungen durch die globale Pandemie beginnen tatsächlich, den Verbrauch des schwarzen Goldes in den Keller zu stürzen – bis zu einem Punkt, der den Rohölpreis schwer belastet. So fiel der Preis pro Barrel (160 Liter), der Anfang Januar bei 70 Dollar lag, Anfang März auf 50 Dollar.
Der saudische Minister schlug vor, den Preisverfall durch eine freiwillige Reduzierung der Förderung zu begrenzen. Sein russischer Kollege antwortete, dass er nicht dagegen sei, vorausgesetzt, dass alle Produzenten der Welt sich verpflichten, ihren Teil dieses Opfers zu bringen, angefangen mit Washington. Die Vereinigten Staaten wurden im Jahr 2018 zum weltweit führenden Produzenten, mit einem Rekord von fast 13 Millionen Barrel pro Tag (MB/Tag), die im Jahr 2019 dank des durch Fracking gewonnenen Öls, das etwa die Hälfte des Gesamtvolumens ausmacht, gefördert wurden.
Doch Uncle Sam, der nicht Teil der OPEC+ ist, hat nie einer Selbstbeschränkung zugestimmt. Eine Einigung war daher in Wien nicht möglich. Saudi-Arabien beschloss daraufhin, den Spieß umzudrehen und den Markt zu überschwemmen. Das Land pumpte immer mehr und stieg von 9,8 MB/Tag auf 12. Moskau, der zweitgrößte Produzent der Welt (10,7 MB/Tag), musste diesem Beispiel folgen und ebenfalls seine Förderung erhöhen, während es gleichzeitig die Haltung Riads als "irrational" qualifizierte.
Doch die Lage erschwerte sich zusehends: Immer mehr Länder auf den fünf Kontinenten entschieden sich für Ausgangsbeschränkungen. Ein Großteil des kommerziellen Flugverkehrs wurde gestrichen, der Autoverkehr war stark rückläufig und der Energieverbrauch der Industrien befand sich im Sturzflug. Anfang April erreichte das Ungleichgewicht zwischen dem weltweiten Angebot (etwa 100 MB/Tag) und dem Einbruch der Nachfrage (25 MB/Tag oder gar 30 MB/Tag) ein in der Geschichte des schwarzen Goldes noch nie dagewesenes Niveau.
Ende März fiel der Kurs schließlich unter 20 Dollar pro Barrel. Am 9. April trafen sich die OPEC+-Länder erneut. Sie einigten sich schließlich auf einen Gesamtrückgang von 9,7 MB/Tag, was ein Zehntel der Weltproduktion bedeutet – das ist ein gigantischer und beispielloser Vorgang. Am 10. April zögerte Mexiko jedoch. Es dauerte zwei weitere Tage, bis unter den 23 vertretenen Ländern Einstimmigkeit erzielt wurde. Riad und Moskau vereinbarten, die Produktion um jeweils 2,5 MB/Tag zu reduzieren. Der russische Minister ist jedoch der Ansicht, dass das Abkommen, das ab dem 1. Mai gilt, mindestens bis zum Ende des Jahres bestehen muss, um sich spürbar auszuwirken, und noch länger, um zu den Preisen von Anfang 2020 zurückzukehren. Ein neues Treffen ist für Juni geplant.
Das Übereinkommen wurde gebilligt und unter den Schirm der G20 gestellt. Das Weiße Haus hat seinerseits keine verbindlichen Zusagen gemacht, auch wenn der russische Minister einen Rückgang der US-Produktion um 2 bis 3 MB/Tag in Aussicht stellt.
Am 12. April rief der amerikanische Präsident Donald Trump seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin an. Die beiden Männer betonten gemeinsam "die große Bedeutung der erzielten Vereinbarung". Der Kreml präzisierte auch, dass ein Gespräch zwischen Putin und dem saudischen König Salman im gleichen Geiste stattgefunden habe.
Offiziell haben also die drei Ölgiganten einen Waffenstillstand geschlossen. Der erzielte Kompromiss mischt die Karten neu.
Mit der Weigerung, sich am 6. März vertraglich zu binden, setzte Moskau eine neue Strategie um, für die sich Igor Setschin, der Chef der staatlichen Ölgesellschaft Rosneft, ein sehr enger Freund Putins, eingesetzt hatte. Letzterer entschied zugunsten der Feindseligkeiten aus drei Gründen heraus.
Erstens, um kurzfristig den neuen amerikanischen Frackingölproduzenten (hauptsächlich in Texas) "an die Gurgel zu gehen". Zugegebenermaßen behindert der Rückgang des Rohölpreises die Öleinnahmen Russlands, doch die durchschnittlichen Förderkosten in dem Land liegen zwischen 15 und 20 Dollar pro Barrel. Es kann sich also behaupten, zumal es über Devisenreserven in Höhe von 450 Milliarden und einen "souveränen" (staatlichen) Fonds von 150 Milliarden Dollar verfügt.
Umgekehrt sind die texanischen Produzenten besonders anfällig, da sie Produktionskosten von 50 bis 60 Dollar pro Barrel haben. Wenn die Preise unter dieses Niveau fallen, werden sie die Suppe auslöffeln müssen – das wird umso härter sein, da sie schlecht kapitalisiert sind; sie riskieren auch, die Banken, die sie finanziert haben, mit nach unten zu ziehen. Dieses erste Ziel beginnt sich zu verwirklichen: Die Konkurse kleiner texanischer Produzenten nehmen zu. Die US-amerikanische Frackingölproduktion könnte um 40 Prozent zurückgehen.
Dieser Rückgang ist zwar ein Ergebnis der Marktkräfte und keine formelle Verpflichtung der US-Regierung. Tatsache bleibt aber, dass die Amerikaner zum ersten Mal dazu gebracht werden, den Regeln anderer Weltproduzenten zu folgen. Moskau kann also damit zufrieden sein.
Die texanischen Produzenten untergehen zu lassen, die seit mehreren Jahren den Markt stören, war auch das Ziel des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MBS). Aber letzterer kann kaum triumphieren: Nach vielen Rückschlägen und diplomatischen sowie militärischen Misserfolgen hat er die Krise eher durchlitten als gesteuert. Zwar verzeichnet sein Land die niedrigsten Förderkosten (5 bis 10 Dollar pro Barrel), doch die Finanzen des Königreichs verschlechtern sich doch in besorgniserregender Weise.
Die umfangreichen Modernisierungspläne, die unternommen werden, verursachen beträchtliche Kosten und erfordern 80 Dollar pro Barrel. Dies gilt umso mehr, seitdem die brutalen Vorgehensweisen von MBS sowohl in Moskau als auch in Washington Zweifel an der saudischen Stabilität aufkommen ließen. Es scheint so, als suchten auch einige im Innern des Königreichs nach einer Alternative. Vor einigen Wochen ließ der Prinz zwei Mitglieder der königlichen Familie verhaften, von denen einer der CIA angeblich sehr nahe stand.
Das zweite Ziel Moskaus besteht mittelfristig darin, seinen Anteil am europäischen Markt nicht zu verringern. Im Jahr 2017 lieferte Russland 32 Prozent des Öls der EU und will seinen Platz als führender Lieferant behalten, den ihm die amerikanischen Ölkonzerne gerne absprechen würden – begünstigt durch die Selbstbeschränkungen der Produktion, die innerhalb der OPEC+ zur Preisstützung beschlossen wurden. Es ist auch selbstredend, dass Washington alles in Gang setzt, um den russischen Gasexporten auf dem alten Kontinent entgegenzuwirken, indem es sein eigenes Flüssiggas fördert – alles mit dem Ziel geostrategischer Dominanz.
In diesem Licht muss man auch die Versuche verstehen, Venezuela – das Land mit den größten bekannten Reserven an schwarzem Gold – zu destabilisieren. Möglicherweise haben sich die Verhandlungen zwischen Amerikanern und Russen hinter den Kulissen nicht nur auf die Produktion von Erdöl konzentriert, sondern auch auf die amerikanischen Sanktionen, die sowohl gegen Moskau als auch gegen Caracas gerichtet sind.
Schließlich könnten die Russen ein längerfristiges Ziel haben: sich als weltweiter Regulator der Rohölpreise zu positionieren.
In diesem Zusammenhang sind die Staats- und Regierungschefs der EU verärgert: Wegen des Mangels an Erdölressourcen können sie nur zuschauen. Die Kommission hatte 2015 einen "strategischen Rahmen für eine belastbare Energieunion mit einer weitsichtigen Klimaschutzpolitik" vorgeschlagen. Ein sehr theoretischer gemeinsamer Rahmen, da die 27 in diesem wie in vielen anderen Bereichen oft unterschiedliche, ja sogar gegensätzliche Interessen vertreten.
Wie lange wird der 12-April-Kompromiss andauern? Bisher hat er teilweise gewirkt: Der heutige Preis für den Barrel Öl liegt bei gut 35 Dollar. Mehr sollte man im Zuge des nächsten OPEC+-Treffens erfahren. Öl bleibt indes mehr denn je ein sehr entscheidender Faktor sowohl für die nationalen Wirtschaften als auch für die künftigen geopolitischen Entwicklungen.
Meinung
Frankreich: Das große Abwandern der Industrie
von Pierre Lévy
Mangel. Jenes Wort war seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus dem Wirtschaftsvokabular der entwickelten Industrieländer verschwunden. Inmitten der Coronavirus-Krise erlebt es nun ein starkes Comeback. Es herrscht ein Mangel an Krankenhausbetten, aber auch an Masken, Desinfektionsmitteln, Tests, Beatmungsgeräten und Medikamenten ...
COVID-19 hat diese dramatischen Defizite aufgezeigt. In Frankreich sind sie das Ergebnis einer bewusst und auf Dauer angelegten Politik, die Produktion zu delokalisieren und das Land zu deindustrialisieren. Seit Mitte der 1970er-Jahre hat sich der Anteil der verarbeitenden Industrie an der französischen Wirtschaft demnach halbiert: Sie macht heute nur noch zehn Prozent des inländischen Vermögens aus. Und die leichten Veränderungen der letzten Jahre haben es nicht möglich gemacht, den Trend ernsthaft umzukehren.
Ein Beispiel unter vielen anderen ist die Schließung einer großen Maskenfabrik in Plaintes in der Region Côtes d'Armor Ende 2018 aufgrund einer Verlagerung. Die französische Firma Spérian wurde bereits im Jahr 2010 vom US-Konzern Honeywell übernommen.
Monatlich konnten in der Fabrik bis zu 20 Millionen FFP1- und FFP2-Masken hergestellt werden. Im Jahr 2005 waren sie Gegenstand einer Investition von sechs Millionen Euro, die mithilfe der öffentlichen Hand getätigt wurde und 2009, zur Zeit des H1N1-Virus, eine massive Produktion ermöglichte, bevor der Staat beschloss, sich zurückzuziehen.
Zum Zeitpunkt der Schließung hatten die CGT- und CFDT-Vertreter der Fabrik Emmanuel Macron und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire aufgefordert, das Unternehmen zu retten. Damals jedoch ohne Erfolg. Hinzu kommt, dass die Unternehmensleitung große Sorgfalt darauf gelegt hatte, die acht Produktionslinien zu zerstören, damit sie nicht in die Hände eines Konkurrenten fielen. Zuletzt hörte man, dass Gewerkschafter und betroffene Gemeinden versuchen, das Unternehmen wiederzubeleben.
Ein ähnlich tragisches Szenario spielt sich im Luxfer-Werk in Gerzat (Puy-de-Dôme) ab, wobei die anglo-amerikanische Gruppe Luxfer Gas Cylinders als Liquidator fungiert. Bis zum Frühjahr 2019 produzierten dort französische Mitarbeiter medizinische Sauerstoffflaschen – die letzten, die in Frankreich und sogar auf dem ganzen Kontinent hergestellt wurden. Auch hier wieder die gleiche Unfähigkeit des Staates, aber auch die gleiche Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Produktion auf Seiten der Arbeiter, die immer noch nicht aufgeben wollen. Dies umso mehr, als dieses Material angesichts des in die Höhe schnellenden Bedarfs für die Wiederbelebung von entscheidender Bedeutung geworden ist.
"Selbst in einer Kriegswirtschaft ist es schwierig, nicht vorhandene Kapazitäten und verloren gegangenes Know-how zu mobilisieren und die klaffenden Spezialisierungslücken zu füllen", bemerkten die Ökonomen Elie Cohen, Timothée Gigout-Magiorani und Philippe Aghion in einer Kolumne in Les Echos (31.03.20) im Zuge der massiven Deindustrialisierung. Sie erinnern uns daran, dass Deutschland seinerseits nicht aufgehört hat, seine Produktionskapazitäten zu verstärken: Die deutschen Bruttoexporte von Tests, die jetzt für COVID-19 mobilisiert werden können, belaufen sich auf fast zwei Milliarden Euro pro Jahr, verglichen mit knapp 200 Millionen Euro in Frankreich.
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Die pharmazeutische Industrie ihrerseits steht bei der Auflösung der Produktionslinien an vorderster Front. Heute werden zwischen 60 und 80 Prozent der Wirkstoffe außerhalb der Europäischen Union hergestellt, gegenüber 20 bis 30 Prozent vor zwanzig Jahren. Von Frankreich selbst ganz zu schweigen. Die Europäische Kommission sagt heute, dass sie eine "Neubewertung" der Produktionsketten innerhalb der EU erwägt. Und dann?
Indien ist der weltweit größte Hersteller von Generika und Impfstoffen und deckt 20 Prozent der weltweiten Nachfrage. Doch dieses Streben nach finanzieller Effizienz führt umso mehr zu einer gefährlichen Abhängigkeit, da der Subkontinent selbst vom Coronavirus betroffen ist.
So beschloss Indien am 4. März erstmals in seiner Geschichte, den Export von 26 Wirkstoffen wie Paracetamol, Antibiotika und antiviralen Medikamenten zu stoppen. Das Land wollte sich auch vor der nicht minder massiven Abhängigkeit schützen, in der es sich befindet: Indien importiert fast 70 Prozent seiner Wirkstoffe – die das Herzstück der Arzneimittelherstellung bilden – aus China. Unter Druck, insbesondere vonseiten der Vereinigten Staaten, gab Premierminister Narendra Modi am 7. April schließlich 13 Medikamente und Zusatzstoffe frei.
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Diese Aufsplitterung auf mehrere Produktionsländer ist umso gefährlicher, als dass die Konzerne von Sanofi bis Novartis der Meinung sind, dass die Daten über die Herkunft ihrer Produkte Herstellungsgeheimnisse sind, die sie eifrig schützen.
Nach mehreren Warnungen vor Lieferunterbrechungen für Europa startete die französische Firma Sanofi am 24. Februar die Gründung einer Gesellschaft, um die sechs europäischen Werke, die aktive Wirkstoffe herstellen, zusammenzuführen. Solide Konsolidierung?
In Wirklichkeit beabsichtigt der Konzern, dieses zukünftige Unternehmen, das schließlich nur noch 30 Prozent des Kapitals hält, als Tochtergesellschaft an die Börse zu bringen. Auf diese Weise kann man sich von dieser Einheit diskret verabschieden. Während öffentliche Institutionen wie Bpifrance (die französische KfW) willkommen sind, sich an der Finanzierungsrunde des neuen Unternehmens zu beteiligen, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich auch ausländische Fonds gerne beteiligen werden, um Einfluss auf seine Entscheidungen zu nehmen.
Indem sie ihre Produktion auf diese Weise auseinanderlegen, haben die Hersteller zwar ihre Kosten gesenkt, gleichzeitig aber ihre Produktionskette äußerst anfällig gemacht. Und das nicht nur in der pharmazeutischen Industrie. Eine andere Aktivität, die eng mit der industriellen Geschichte Frankreichs verbunden ist, zahlt gerade ihren Preis: die Automobilindustrie.
Carlos Tavares, Vorstandsvorsitzender von PSA (Peugeot, Citroën), kann sich rühmen, dass er "nur" 300 chinesische Lieferanten von den insgesamt 8.000 hat, was jedoch ausreicht, um die Produktionslinien in Poissy und Rennes zu blockieren. In diesem Fall konzentriert sich China auf eine Produktion mit geringer Wertschöpfung, die vier Prozent des Preises für den Bau eines Fahrzeugs in Frankreich ausmacht. Insgesamt gesehen stellen diese Teile jedoch 20 Prozent, bei kleinen mechanischen und Kunststoffkomponenten sogar 50 Prozent dar. Unter diesen Bedingungen hat es keinen Sinn, weiterhin Stoßstangen in Europa herzustellen, wenn Schrauben und Muttern fehlen, damit die Autos die Fabriken verlassen können.
In der gegenwärtigen Krise führt all dies zu einigen überraschenden Veränderungen in der Vorgehensweise. Philippe Varin, ehemaliger Chef von PSA Peugeot Citroën, der beschlossen hatte, den Standort Aulnay-sous-Bois zu schließen, ist heute als Präsident der Lobby des französischen Arbeitgeberverbandes der Industrie der Ansicht, dass die Krise "den Charakter einer Chance annehmen kann, weil sie die Wiederaufnahme der Produktion in Frankreich ermöglicht".
Eine weitere Wende: Laurence Daziano, Forscherin beim Thinktank Fondapol, der sich als eine "liberale und europäische Denkfabrik" bezeichnet, fordert ihrerseits in Les Echos (7. April) den "Wiederaufbau der französischen Industrie" mit einer "Lenkungs- und Finanzierungsfunktion" für den Staat, der aufgefordert wird, "sich mit bis zu 10 bis 15 Prozent an strategischen Industrien zu beteiligen".
Doch die spektakulärste rhetorische Kehrtwende findet sich im Élysée-Palast. So plädierte Emmanuel Macron am 13. April für "den Wiederaufbau der Unabhängigkeit Frankreichs in den Bereichen Landwirtschaft, Gesundheit, Industrie und Technologie", nicht ohne an sein Mantra zu erinnern: "mehr strategische Autonomie für unser Europa". "Unser Europa", in diesem Fall die EU, basiert nach wie vor auf dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Arbeitskräften – und Kapital.
Nach dem letzten Stand der Dinge stellen die europäischen Staats- und Regierungschefs, insbesondere der französische Präsident, dieses grundlegende und existentielle Dogma in keiner Weise in Frage. Die Kluft zwischen Rhetorik und Realität könnte sich daher vergrößern, aber auch immer deutlicher sichtbar werden.
(BRISANTES UPDATE) Inszenierte Verhaftungen und Krisen-Schauspieler?!
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Meinung
Die Wiedergeburt des IS stärkt US-Position im Irak (Teil I)
von Rainer Rupp
Mit der Wahl des US-freundlichen früheren Geheimdienstchefs im Irak zum neuen Ministerpräsidenten in Bagdad scheint sich nun der Wunsch der Regierung in Washington, D.C. zu erfüllen, ohne Gesichtsverlust die US-Truppen auch im Irak belassen zu dürfen.
Die letzten sechs Monate waren im Irak von zunehmenden und zuletzt gar explosiven innen- und außenpolitischen Instabilitäten sowie von enormen wirtschaftlichen Herausforderungen geprägt: innenpolitisch durch die nicht enden wollenden, blutig niedergeschlagenen Massendemonstrationen gegen die von einem größeren Teil der Bevölkerung als korrupt wahrgenommene Regierung und Beamtenschaft.
Außenpolitisch durch eine zunehmende Konfrontation zum amerikanischen Militär, das zwar 2014 von der damaligen irakischen Regierung als Hilfe gegen die übermächtige Terrorbewegung "Islamischer Staat" IS zurück ins Land geholt wurde, das sich aber seither wieder immer stärker mit Besatzer-Allüren als Herr im Land aufspielt und etliche tödliche Luftangriffe gegen schiitische Militäreinheiten der irakischen Armee geflogen und sogar gezielt Mitglieder aus deren Führung ermordet hat.
Und wirtschaftlich sieht es im Irak nicht viel besser aus, zumal auch dieses Land gegen das Coronavirus zu kämpfen hat. Da der irakische Staatshaushalt hauptsächlich von Öleinnahmen gespeist wird, die Ölpreise jedoch schon letztes Jahr gesunken sind und seit dem durch Corona verursachten globalen Wirtschaftskollaps nun gänzlich in den Keller gerutscht sind, steht die Regierung in Bagdad vor schwierigen Ausgabenkürzungen für Löhne, für Gesundheit und Soziales, für Infrastruktur und Bildung.
Der irakische Staatshaushalt benötigt etwa 80 Milliarden Dollar pro Jahr, kann aber in diesem Jahr nur mit Einnahmen von weniger als 30 Milliarden rechnen. Da Bagdad bereits hohe Auslandsschulden hat, ist auch der Ausweg über neue Schulden weitgehend verschlossen. Zugleich ist das Land ethnisch und religiös in arabische Sunniten, arabische Schiiten und kurdische Sunniten dreigespalten, die sich untereinander, oft sogar innerhalb ihrer eigenen Gruppen spinnefeind sind. Auch unter der jetzt vom irakischen Parlament gewählten neuen Regierung ist nicht zu erwarten, dass sich die sozialen und politischen Probleme in Wohlgefallen auflösen, zumal aktuell noch mehr Schwierigkeiten dazu gekommen sind.
Das ist – kurz umrissen – die Ausgangssituation, in welcher der US-freundliche irakische Geheimdienstchef Mustafa Al-Kadhimi jüngst zum neuen Ministerpräsidenten des Irak gewählt worden ist.
Neben den katastrophalen, wirtschaftlichen Problemen, der Corona-Pandemie und den neuen Überfällen durch den IS muss der neue Regierungschef Al-Kadhimi auch eine Lösung dafür finden, wie seine Regierung mit dem Beschluss des irakischen Parlaments vom Anfang Januar 2020 umgehen soll, nach welchem alle ausländischen Truppen im Land (gemeint sind vor allem die US-Truppen) so schnell wie möglich den Irak zu verlassen haben. Dieser Beschluss war die unmittelbare Reaktion der Mehrheit des irakischen Parlaments auf die Ermordung des legendären iranischen Generals Qassem Soleimani und seines irakischen Gastgebers Abu Mahdi al-Muhandis am 2. Januar (Ortszeit) am Flughafen in Bagdad durch eine Rakete, die von einer amerikanischen Drohne abgefeuert worden war.
Al-Muhandis war Kommandeur der mächtigsten iranfreundlichen Schiitenmiliz Kata'ib Hisbollah, die vor einigen Jahren vollständig ins irakische Militär integriert worden war, also nunmehr ein Teil der offiziellen irakischen Armee ist. In den jahrelangen, erfolgreichen, aber aufopferungsvollen Kämpfen gegen die IS-Terroristen hat die Kata'ib Hisbollah-Miliz auch über die religiösen und ethnischen Grenzen hinweg im Irak Anerkennung in der Bevölkerung gefunden.
Daher hat die Tatsache, dass Einheiten der Kata'ib Hisbollah in den letzten Monaten wiederholt Opfer gezielter US-Luftangriffe mit vielen Dutzenden von Toten geworden waren, in großen Teilen der irakischen Bevölkerung für Empörung gesorgt. Vor diesem Hintergrund hatte dann die Ermordung von al-Muhandis und General Soleimani durch die USA die Wut der Iraker auf die US-Besatzer auf die Spitze getrieben. Erst dadurch wurde der Parlamentsbeschluss zum Rausschmiss der US-Amerikaner möglich.
Im US-Pentagon rechtfertigte man die Angriffe auf Kata'ib Hisbollah als Vergeltungsschläge für wiederholte Granaten- und Raketenbeschüsse des großräumigen Geländes der US-Botschaft in Bagdad, die aber bis auf einen US-Söldner keine Opfer gefordert hatten. Keine der vielen Gruppen im Irak, die einen nachvollziehbaren Hass auf die US-Besatzer haben, reklamierte jene Angriffe auf das US-Botschaftsgelände in Bagdad und auf eine US-Basis außerhalb Bagdads für sich.
Dennoch bezichtigten die US-Amerikaner ohne Bedenkzeit oder irgendeine Untersuchung die Kata'ib Hisbollah (KH-Miliz) als Urheber dieser Angriffe. Es schien so, als hätte man nur nach einem passenden Vorwand gesucht, um gegen die iranfreundliche KH-Miliz vorzugehen. Auch die nachfolgenden Militärschläge der Amerikaner gegen die KH-Miliz deuten darauf hin, dass damit andere Zwecke als lediglich "Vergeltung" verfolgt wurden.
Anstatt Ziele der KH-Miliz in oder in der Nähe von Bagdad zu bombardieren, wo man die Täter zu vermuten hätte, wenn sie denn Mitglieder der KH-Miliz gewesen wären, schlugen die amerikanischen Bomber in der irakischen Provinz al-Anbar zu, also Hunderte von Kilometern von Bagdad entfernt unmittelbar an der Grenze zu Syrien. Dort vernichteten sie gezielt KH-Einheiten mitsamt ihrer Infrastruktur, die auf irakischer Seite die strategisch wichtigen Grenzübergänge zu Syrien kontrollierten, z.B. bei al-Qa'im und al-Walid.
Auf der anderen Seite dieser Grenzübergänge befinden sich nämlich die syrischen Gebiete, die nach wie vor von US-Soldaten völkerrechtswidrig besetzt sind. Beide Grenzübergänge sind für die Amerikaner wichtig, denn über al-Qa'im geht es zu den syrischen Ölfeldern, welche die US-Armee vor den rechtmäßigen Eigentümern "beschützt", nämlich vor dem syrischen Volk und seiner Regierung. Und über den Grenzübergang al-Walid geht es zur nur 30 Kilometer entfernten US-Militärbasis at-Tanf in Süd-Syrien.
Dass über beide Grenzübergänge für die in den Weiten der Wüste beiden einzigen befahrbaren Straßen auf irakischer Seite ausgerechnet die iranfreundliche KH-Miliz die Kontrolle hatte, war den US-Truppen schon lange ein Dorn im Auge. Aber anscheinend hatten die US-Bombenangriffe mit vielen Dutzenden Toten und noch mehr Verletzten auf Seiten der KH-Miliz noch einen weitaus dunkleren Grund, auf den später noch eingegangen wird.
Zurück in Bagdad drängte derweil der scheidende irakische Ministerpräsident Adil Abd al-Mahdi auf Grund der kriminellen Missachtung der irakischen Souveränität durch das eingeladene US-Militär die Regierung in Washington, dem Wunsch der Mehrheit der Iraker nachzukommen und die US-Soldaten wieder abzuziehen. Mit geradezu imperialem Hochmut ignorierte man im Pentagon die Entscheidung des irakischen Parlaments und erklärte sie als irrelevant.
Stattdessen behauptete man in Washington, die Mehrheit der irakischen Kurden und Sunniten wollten, dass die US-Truppen im Land bleiben und deshalb würden sie auch dort bleiben. Und tatsächlich gibt es auch einflussreiche kurdische und sunnitisch-arabische Minderheiten, die die USA im Irak halten wollen. Und deren Mann, der Ex-Geheimdienstchef Mustafa Al-Kadhimi, ist nun vom irakischen Parlament zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden.
Mit der bekannten Arroganz eines Imperators konnte es auch US-Präsident Trump nicht lassen, den Irakern zu zeigen, wer in ihrem Haus der Herr ist. In einer seiner berüchtigten Twitter-Nachrichten ließ er sie wissen, dass niemand in Washington auch nur im Traum daran denken würde, den Irak zu verlassen, solange der Irak nicht die Milliarden Dollar bezahlt hat, die das Washingtoner Besatzerregime durch den Bau seiner Luftwaffenbasen im Irak ausgegeben hatte.
Um auf die "Ami-Go-Home"-Fraktion, nämlich auf die schiitische Mehrheit im irakischen Parlament, verstärkt Druck auszuüben, kündigte das Pentagon zeitgleich an, dass die US-Militäroperationen gegen den "Islamischen Staat" ausgesetzt würden. Spätestens nach dieser Erklärung hätten bei den Irakern sämtliche Alarmglocken läuten müssen, zumal sie seit Jahrzehnten nur schlimmste Erfahrungen mit ihren heutigen amerikanischen "Freunden und Helfern" gemacht haben.
Sie hätten sich sofort fragen müssen: "Warum kündigt das Pentagon groß an, seine Operationen gegen den IS auszusetzen, wenn das US-Militär diese Operationen ohnehin bereits weitgehend eingestellt hat?" Mit einem Blick zurück in die jüngste Geschichte, die – trotz aller öffentlich zur Schau gestellter Feindschaft – de facto von einer Zusammenarbeit zwischen der CIA und dem IS zeugt, hätte man in Bagdad die gefährliche Drohung erkennen müssen, die sich hinter dieser US-Erklärung über die Beendigung der US-Militäroperationen gegen den "Islamischen Staat" verbarg.
Noch zur Jahreswende war der Islamische Staat sowohl im Irak als auch in Syrien vernichtend geschlagen. Wer von den Terroristen nicht getötet worden war oder sich mit Hilfe der Türkei nach Libyen abgesetzt hatte, war entweder in dem großen Gefangenenlager von al-Hasaka, das von syrischen Kurden im Auftrag der mit ihnen verbündeten USA bewacht wurde, oder befand sich in einzelnen, versprengten Grüppchen auf der Flucht und versuchte noch, sich in den Irak abzusetzen. Der IS stellte also Ende letzten Jahres keine Gefahr mehr dar. Seither hat sich das – zumindest im Irak – wieder radikal geändert.
In den drei Monaten seit jener US-Ankündigung, nichts mehr gegen den IS zu unternehmen, hat man in Washington, D.C. auf altbewährte Methoden zurückgegriffen, also Terroristen – in diesem Fall wieder den IS – als "nützliche Feinde" zu benutzen, um die eigenen verbrecherischen Ziele durchzusetzen und dauerhaft im Irak zu bleiben. Was wir derzeit im Irak erleben, ist also ein Déjà-vu, denn auch im Jahr 2014 – also drei Jahre nach dem "offiziellen" US-Abzug aus dem Irak – kam das US-Militär schon einmal mit Hilfe des IS in den Irak zurück, damals nicht als Angriffskrieger, sondern angeblich als "Helfer" gegen den (zugleich US-betreuten) IS-Terrorismus.
Im zweiten Teil dieser Folge wird ein kurzer Rückblick gegeben werden, wie es die Regierung in Washington mit Hilfe des "nützlichen Feindes" IS schaffte, nur drei Jahre nach jenem – von der US-Kriegstreiberfraktion heftig kritisierten – US-Abzug aus dem Irak im Jahre 2011 unter Präsident Obama, im Jahre 2014 in Bagdad wieder das Sagen zu haben.
Der dritte und letzte Teil wird zeigen, wie seit Beginn dieses Jahres – vermutlich mit aktiver, aber ganz sicher mit passiver Hilfe der Amerikaner – die IS-Terrorgruppe die politischen Wirren im Irak für ihr Comeback und für neue Angriffe in einer Reihe von irakischen Provinzen ausgenutzt hat. In einigen irakischen Provinzen sind die Regierungstruppen von IS-Jägern sogar wieder zu Gejagten geworden. Derweil verlangen folglich einige sunnitische und kurdische Bevölkerungsgruppen zunehmend lauter den dauerhaften Verbleib der US-Amerikaner in ihrem Land.
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
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Meinung
Die Wiedergeburt des IS stärkt US-Position im Irak (Teil II)
von Rainer Rupp
Teil I können Sie hier nachlesen.
Vor fast genau 10 Jahren hatte sich die Regierung in Bagdad standhaft geweigert, mit den Aggressoren in Washington ein Abkommen zur dauerhaften US-Truppenstationierung abzuschließen. Deshalb sah sich die Obama-Administration gezwungen, die US-Armee aus dem Irak abzuziehen. Zum Ende des Jahres 2011 hatten so gut wie alle US-Militäreinheiten das Land verlassen.
Weil es Obama nicht gelungen war, eine permanente US-Militärpräsenz im Irak zu sichern, war er von den Kriegstreibern bei "Republikanern" wie "Demokraten" in den folgenden Jahren immer wieder scharf attackiert worden. Wie konnte man sich eine fette Beute wie den Irak einfach so entgehen lassen? Das war der Tenor.
Schließlich hatte Dick Cheney, Vize-Präsident unter dem Obama-Vorgänger George W. Bush, bereits im Jahr 2002 formuliert, dass nach dem gewonnenen Krieg der Irak zu einer "US-Plattform für umfassende Reformen in der ganzen Region" gemacht werden soll. Vor allem den Iran, Syrien und Libyen hatte er dabei im Visier, wofür er auf Landkarten bereits die lukrativen Öl-Lizenzen für US-Energieunternehmen vermerkt hatte. Seither hat sich in der Sichtweise Washingtons am strategischen Stellenwert des Irak nichts geändert:
- Erstens, das ölreiche Land, in dem es Regionen mit niedrigen Förderkosten gibt, zum Beispiel unter 3 US-Dollar pro Barrel im Süden, darf auf keinen Fall aus dem US-amerikanischen Einflussbereich entlassen werden.
- Zweitens, die geostrategische Lage des Irak schreit geradezu nach US-Militärbasen, wenn Washington diese wichtige Region beherrschen will.
- Und drittens, weil man in Washington das unliebsame Ergebnis des US-Krieges von 2003 und des nachfolgenden Besatzungsregimes im Irak rückgängig machen will. Denn das hatte de facto eine Stärkung des US-Gegners Iran in der ganzen Region und zugleich eine Schwächung der sunnitischen US-Verbündeten am Golf, vor allem aber Saudi-Arabiens zur Folge.
Der "Verlust" des Irak blieb in den Jahren nach dem Abzug für die US-Imperialisten eine eiternde Wunde, was immer wieder zu wütenden Angriffen gegen Obama führte. Doch dann kam die Wende. Die bis dahin abweisende Maliki-Regierung in Bagdad wurde plötzlich unterwürfig in Washington vorstellig und bettelte geradezu um die Rückkehr von US-Soldaten, Ausbildern und Militärhilfe in den Irak. Der "Islamische Staat" (IS) hatte das Wunder möglich gemacht.
Innerhalb kürzester Zeit war auf mysteriöse Weise aus verschiedenen Nachfolgegruppierungen von al-Qaida und geistesverwandten anderen Terrororganisationen im Irak und in Syrien der IS entstanden, der zwischen 2011 und 2014 unter dem Label ISIS (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) firmierte.
Die westlichen Medien stürzten sich auf das neue Phänomen, das angeblich al-Qaida an mittelalterlicher Grausamkeit noch bei Weitem übertraf. Und tatsächlich kam es dann 2014 zur wundersamen Rückkehr des US-Militärs in den Irak. Und damit nicht genug: auf einmal hatten die US-Amerikaner in Bagdad auch wieder politisch das Sagen. Auf ihr Drängen musste der kurz zuvor demokratisch wiedergewählte Ministerpräsident Maliki abdanken und Haidar al-Abadi, – wohlgemerkt von Washington ausgesucht – konnte die Regierungsgeschäfte in Bagdad übernehmen.
Der in einem kalten Putsch geschasste Ministerpräsident Maliki wurde von Washington als Hauptverantwortlicher für die schnelle Eroberung großer Teile des sunnitischen Iraks durch die IS-Terroristen an den Pranger gestellt, während sich die USA als Helfer in der Not aufspielten. Dabei war es die US Army, die zuvor die Infrastruktur des Irak in die Steinzeit zurückgebombt hatte und das US-Besatzerregime, das auch in der Folgezeit systematisch jeglichen gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land zerstört und die einzelnen Ethnien und Glaubensrichtungen bis in die Todfeindschaft gegeneinander aufgehetzt hatte.
Es dauerte jedoch nicht lange, da wurde auch im Irak bekannt, dass viele IS-Kämpfer zuvor von denselben USA in Trainingslagern in Jordanien im Umgang mit modernsten Waffen ausgebildet und ausgestattet worden waren. Auch bei der angeblichen "Bekämpfung" des IS haben sich immer mehr Iraker gewundert, warum die US-Luftwaffe dabei so zögerlich vorging. Hin und wieder wurden ein paar Geschütze der Terrormiliz oder einer ihrer Tankwagen in die Luft gejagt oder angeblich ein IS-Kommandeur von einer Drohne ausgeschaltet.
Aber insgesamt arbeitete die US-Luftwaffe im Irak bei der IS-Bekämpfung sehr langsam und ungenau. Das war seinerzeit nicht nur hochrangigen irakischen Militärs aufgefallen, sondern auch US-Medien, die anscheinend vom Pentagon noch nicht hinreichend in die geheime US-Strategie eingeweiht worden waren: nämlich im Islamischen Staat einen nützlichen Feind zu sehen, mit dessen Hilfe die USA im Irak wieder den Ton angeben können und obendrein auch in Syrien einen Vorwand haben, um dort zu intervenieren.
Als gegen Ende 2014 auch in US-Medien die Kritik über eine zu geringe Effizient der US-Air Force-Einsätze gegen den IS zunahm, wartete das Pentagon mit einer umwerfenden Erklärung auf. Demnach seien Truppenbewegungen und -Ansammlungen der Terrormiliz "schwer zu identifizieren". Und da man die irakische und syrische "Zivilbevölkerung vor Schaden bewahren" möchte, müsse man außergewöhnlich vorsichtig vorgehen. Das erkläre die geringe Wirkung der US-Luftschläge, so ein Pentagon-Sprecher.
Als ob Washington bei seinen Bombardements und Drohneneinsätzen rund um den Globus jemals Rücksicht auf die Zivilbevölkerung genommen hätte. Erinnert sei nur an Hanoi, über die Städte und Dörfer in Serbien bis hin zur Vernichtung der mit Zivilisten vollgestopften und umzingelten irakischen Großstadt Falludscha, die zu 90 Prozent dem Erdboden gleichgemacht worden war.
Aber die Ausreden, warum die US-Streitkräfte – vor allem die Air Force – nur Scheingefechte gegen den IS führten, wurden noch verrückter. Mitte 2015 war auch den US-Medien aufgefallen, dass trotz täglicher US-Bombereinsätze in Syrien, die sich angeblich gegen den IS richteten, der Öl-Schmuggel dieser Terrororganisation von den eroberten Öl-Feldern in Syrien in die Türkei nicht nur unbehindert weiterging, sondern sogar noch zugenommen hatte. Die Luftaufnahmen von Kilometer langen Konvois aus Tanklastwagen auf den syrischen Pisten in Richtung türkischer Grenze zeugten davon. Die Erlöse aus dem Ölschmuggel stellten eine der Haupteinnahmequellen des IS dar. Aber die sonst so auf Bomben versessene US-Luftwaffe ließ deren Tankerkonvois völlig in Ruhe, obwohl die auch aus großer Höhe ganz leicht zu identifizieren waren.
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Michael Morell, ein ehemaliger CIA-Direktor, gab der Öffentlichkeit schließlich des Rätsels Lösung preis. Am 25. November 2015 sagt er gegenüber dem auf politische Nachrichten aus Washington spezialisierten Medium The Hill, dass Sorgen über die mögliche Umweltverschmutzung den US-Präsidenten bisher davon abgehalten hätten, jene Ölquellen und Tanklaster zu bombardieren, mit denen sich der IS fortwährend finanzierte.
Wörtlich zitierte The Hillden Ex-CIA-Direktor, wonach die strategische Entscheidung gefallen sei, diese Öl-Quellen und Öl-Tanker nicht zu zerstören, "weil das Umweltschäden verursachen würde und weil es sich dabei um eine Infrastruktur handelt, die für die Menschen notwendig sein wird, wenn der IS nicht mehr da ist." Wer hätte so viel Feingefühl und Rücksichtnahme für die einfache syrische Bevölkerung erwartet, erst recht von dem skrupellosen CIA-Veteranen Morell, der nur zehn Monate später Hillary Clinton als Präsidentschaftskandidatin unterstützt und empfiehlt, in Geheimoperationen gezielt russische Offiziere in Syrien ermorden zu lassen, ohne Rücksicht auf die daraus folgenden Gefahren für einen großen Krieg?
Die Unterstützung der US-Regierung für den IS war zu diesem Zeitpunkt bereits so offenkundig, dass der Chefideologe der New York Times, Thomas Friedman, der als "einflussreichster Kommentator" der USA gilt, in seiner Kolumne vom 18. März 2015 die rhetorische Frage stellte, ob es nicht besser wäre, wenn die USA die IS-Terroristen nicht länger über Umwege verdeckt, sondern auf direktem Weg und ganz offen auch mit schweren Waffen versorgen sollte. So wahnsinnig das klingt, im politischen Spektrum der USA fand selbst dieser Vorschlag Unterstützer.
Zwei Monate später – im Mai 2015 – wurden die vielen Hinweise auf ein Zusammenspiel zwischen Washington und dem IS endlich durch ein offizielles US-Dokument unwiderlegbar bewiesen. Dabei handelte es sich um ein Dokument des militärischen Nachrichtendienstes der USA, der Defence Intelligence Agency (DIA).
Die Freigabe des geheimen DIA-Pentagon Bericht war von der konservativen US-Bürgerrechtsorganisation "Judicial Watch" im Zusammenhang mit den Untersuchungen zur Libyen-Krise per Gerichtsbeschluss erzwungen worden. Der Bericht stammt aus dem Jahr 2012, also aus einer Zeit, in der der IS als neues "Markenzeichen" des Schreckens noch in den Kinderschuhen steckte.
Aber trotz der vielen von der Zensur entfernten Passagen geht aus dem 7 Seiten umfassenden Bericht des Pentagon einwandfrei die bewusste Komplizenschaft der US-Regierung und anderer westlicher Regierungen mit al-Qaida Gruppierungen und anderen islamistischen Gewaltextremisten hervor, indem diese massive Unterstützung erhalten. Der Geheimbericht macht auch klar, dass die westlichen Mächte diese Terrorgruppen nicht eindeutig als Feind identifizieren, sondern als strategisches Instrument, mit dem ausdrücklichen Ziel, den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu stürzen.
Weiter zeigt das DIA-Dokument, dass sich – anders als die von westlichen Politikern und ihren "Qualitätsmedien" immer wieder beschworene "gemäßigte" oder "demokratische" Opposition in Syrien – die DIA von Anfang an keine Illusionen darüber machte, wer in Syrien tatsächlich gegen die rechtmäßig gewählte Regierung kämpfte. So unterstreicht die DIA in ihrem Bericht, dass schon vor 2012 "die Ausweitung des Aufstands in Syrien" zunehmend eine "sektiererische Richtung" genommen hatte und dass "die Salafisten [sic!], … und AQI [al-Qaida im Irak, Vorläuferorganisation des IS] die Hauptantriebskräfte für den Aufstand in Syrien sind".
Wenn es im DIA-Dokument auch nicht explizit so formuliert ist: Die USA und ihre Verbündeten in der NATO sind dadurch als Geburtshelfer und Unterstützer des IS entlarvt, obwohl sie in der Öffentlichkeit scheinheilig die Terroristen lautstark verurteilen.
Nach der Veröffentlichung des DIA-Dokuments gab es viele Stimmen, auch von angeblichen Linken, die versuchten, die in dem Dokument hergestellten Zusammenhänge zu zerreden und die Obama-Regierung in Schutz zu nehmen. Höchstwahrscheinlich habe Obama die DIA-Analyse und Warnungen gar nicht zu Gesicht bekommen, hieß ein weit verbreiteter Erklärungsversuch der Anhänger Obamas, um das Image des Friedensnobelpreisträgers zu retten, der nun auch noch als Terroristenunterstützer dastand.
Diesen Ausreden machte der damalige Chef der DIA, Generalleutnant Michael Flynn, in einem Interview mit Al Jazeera schnell ein Ende. Darin bestätigte er nicht nur, dass auch die anderen US-Geheimdienste ganz genau beobachtet hatten, wie die verschiedenen Gruppen von islamistischen Gewaltextremisten auf wundersame Weise im westlichen Narrativ zu einer friedlichen, demokratischen "Opposition" in Syrien mutierten beziehungsweise mutiert wurden. Auch wies Flynn die Vermutung zurück, die US-Regierung habe die Analyse der DIA gar nicht gesehen. Laut Flynn hat Obama diesen höchst unbequemen, aber ehrlichen DIA-Bericht sehr bewusst ignoriert. "Ich denke, es war eine vorsätzliche Entscheidung", so der ehemalige DIA-Chef.
Und so hatte man von Washington aus ideale Bedingungen für die Entstehung und das Erblühen des IS als einem sehr nützlichen "Feind" geschaffen. Dabei wurde der auch vor Ort tatkräftig von den NATO-Vasallen unterstützt, wie aus nachfolgender Meldung des britischen Guardian im Juni 2015 über die aktiven britischen Geheimdienste mit ISIS deutlich wird:
Der Guardian berichtete über eine Gerichtsverhandlung in London gegen einen schwedischen Staatbürger, der wegen terroristischer Aktivitäten in Syrien bei seiner Durchreise durch England als Teil einer dem IS nahestehenden Gruppe verhaftet worden war. Richtig interessant wurde der Prozess erst, als herauskam, warum die Staatsanwaltschaft den Prozess abgebrochen hatte. Eine Fortführung wäre nämlich für die britischen Nachrichtendienste höchst peinlich geworden. Denn die Anwälte der Verteidigung hatten gedroht, Beweise vorzulegen, dass die gleiche Terroristengruppe, wegen deren Mitgliedschaft der Schwede jetzt in London vor Gericht stand, zuvor vom britischen Geheimdienst MI6 mit großen Mengen an Waffen und Munition beliefert worden war und die Terroristen vom MI6 sogar noch an den Waffen entsprechend ausgebildet worden waren.
Vor diesem Hintergrund erahnt der geneigte Leser sicherlich schon, was hinter der Drohung des US-Regierung von Anfang Januar 2020 steckte, als es verlauten ließ, alle Operationen gegen den IS einzustellen.
Im dritten und letzten Teil wird beleuchtet, wie der IS vermutlich mit aktiver, aber ganz sicher mit passiver Hilfe der USA in den letzten sechs Monate die politischen Wirren in Bagdad genutzt hat, um im Irak die aus Syrien kommenden Versprengten oder Terroristengruppen wieder einzusammeln, sich neu formieren zu lassen, um in einer Reihe von irakischen Provinzen erneut in die militärische Offensive zu gehen. Dort hat sich das Blatt schon wieder einmal gewendet. Vor allem die schiitischen Einheiten der irakischen Armee, die sich noch vor kurzem als IS-Jäger einen Namen gemacht hatten, sind selbst wieder zu Gejagten geworden.
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Meinung
Die Wiedergeburt des IS stärkt US-Position im Irak (Teil III)
von Rainer Rupp
Teil I und II können Sie hier bzw. hier nachlesen.
Eine jüngste Lageeinschätzung von Elijah J. Magnier, einem renommierten Kenner der Region, schildert auf anschauliche Weise, wie der "Islamische Staat" (IS) vor allem in den letzten drei Monaten in den irakischen Grenzregionen zu Syrien die militärische Bereitschaft der irakischen Sicherheitskräfte testet. Die Terrormiliz ist seit Beginn des Jahres, für die Politiker in Bagdad völlig unerwartet, praktisch aus dem Nichts wieder erstarkt. Dabei hat sich die Terrororganisation geschickt die zunehmenden politischen Konflikte zwischen den USA und dem Irak einerseits und den USA und dem Iran andererseits zunutze gemacht.
Zugleich weiß der IS ganz genau, wo in den verschiedenen Teilen des Irak Sicherheitslücken bestehen, insbesondere entlang der irakisch-syrischen Grenze in der Provinz al-Anbar. Dort hat die US-Armee – auf der anderen Seite der irakischen Grenzübergänge bei al-Qa'im und al-Walid – das Sagen und kontrolliert die Verbindungswege. Dort war und ist der IS bis heute vor der syrischen Armee und den Russen in Sicherheit und kann auch unerkannt über die Grenze, hinüber in den Irak.
Der IS kennt aus der Vergangenheit jene Regionen, wo er unter sunnitischen Stämmen noch mit Unterstützung rechnen kann, wozu auch die Provinz al-Anbar zählt. Dort münden auch an den beiden Grenzübergängen al-Qa'im und al-Walid die einzigen gut befahrbaren Straßen über die Grenze. Das ist natürlich interessant für die "vielen IS-Kämpfer, die es irgendwie geschafft haben, aus dem syrischen Gefangenenlager in der nordöstlichen Stadt al-Hasaka zu entkommen", meint Elijah Magnier. In dem Lager waren zwischen 11.000 bis 12.000 Terroristen interniert, die entweder bei Kämpfen gegen die mit den USA verbündeten Milizen der kurdischen "Demokratischen Kräfte Syriens (SDF)" gefangenen genommen worden waren oder die sich auf der Flucht ergeben hatten.
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Formal stand das Lager unter der Verantwortung der SDF, de facto aber unter der Oberaufsicht der US-Amerikaner, die eine Auslieferung dieser grausamen islamistischen Söldner und Kopfabschneider an die syrische oder irakische Regierung aus angeblich "humanitären" Gründen verhinderten. Der wahre Grund dürfte jedoch gewesen sein, dass man in Washington diese wertvolle Trumpfkarte "IS" so schnell noch nicht aus der Hand geben wollte. Angesichts der Tatsache, dass die USA noch immer weit entfernt waren von der Erreichung ihrer Ziele in Syrien und sich auch im Irak verstärkte Tendenzen gegen den weiteren Verbleib des US-Militärs und zur Wiedererlangung der vollen nationalen Souveränität zeigten, würde der IS als bewährter, "nützlicher Feind" auch in Zukunft womöglich noch gute Dienste leisten können.
Anfang letzten Jahres war das IS-Gefangenenlager bei al-Hasaka Berichten von Besuchern zufolge noch gut bewacht. Während der Invasion der kurdischen Gebiete durch die Türken im Oktober 2019 hat die SDF-Führung allerdings die meisten ihrer Kämpfer vom Gefängniswachdienst abgezogen und an die Front gegen die Türken geschickt.
Etwa zur gleichen Zeit begannen im Irak Massendemonstrationen gegen die Regierung und in der Regierung und im Parlament verstärkte sich die antiamerikanische Stimmung. Auf wundersame Weise begann genau zu dieser Zeit im IS-Gefangenenlager in al-Hasaka ein Schwund der Insassen. Heute hört man, das Lager sei so gut wie leer. Nach Norden in Richtung syrischer Armee und Russen hatten sich die IS-Terroristen sicherlich nicht abgesetzt. Allerdings ist der irakische Grenzübergang al-Qa'im in der Provinz al-Anbar lediglich 330 Straßenkilometer von al-Hasaka entfernt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Laut Elijah Magnier scheint es, dass viele der entflohenen IS-Terroristen so etwas wie ausgemachte "Treffpunkte im Irak hatten, wo sie sich mit anderen Gruppen zusammenschließen konnten, die sich in der syrisch-irakischen Grenzregion bereits frei bewegen konnten". Das geht natürlich nur, wenn die US-Armee auf der syrischen Seite der Grenze ihren Blick auf den IS verschließt.
Kaum zurück im Irak scheint die islamistische Miliz schon wieder aktiv ins Terrorgeschäft eingestiegen zu sein, berichtet Magnier unter Berufung auf Angaben aus irakischen Geheimdienstquellen in Bagdad. Bei jüngsten IS-Angriffen auf irakische Sicherheitskräfte gab es Tote und Verwundete auf beiden Seiten.
Vor allem in der Provinz al-Anbar scheinen die IS-Kämpfer eine heimtückische Taktik anzuwenden, um die lokalen sunnitischen Stammesgemeinschaften gegen die mehrheitlich schiitischen Sicherheitskräfte der Regierung aufzubringen. Unter falscher Flagge werden Gräueltaten gegen Einheimische begangen, um sie den Regierungssoldaten in die Schuhe zu schieben. So berichtet Magnier von Kontrollposten an den Straßen, die von IS-Kämpfern in Uniformen der schiitischen Milizeinheiten der irakischen Armee errichtet werden. Bei den Kontrollen werden Angehörige der lokalen sunnitischen Stämme gezielt verhaftet, misshandelt oder gleich getötet.
Dieses Vorgehen hat erste "Erfolge" gezeigt, denn die politischen Führer der sunnitischen Stämme in al-Anbar haben die so genannten "Volksmobilisierungskräfte" (PMF – eine Koalition schiitischer Milizen, die heute integraler Teil des irakischen Militärs sind) aufgefordert, ihre Provinzen zu verlassen und stattdessen das US-Militär gebeten, im Irak zu bleiben. Zum Hintergrund sei gesagt, dass die PMF in den großen und siegreichen Schlachten der letzten Jahre gegen den IS im Irak stets die Hauptlast der Bodenkämpfe trugen, während die US-Air Force mal mehr, mal weniger Luftunterstützung leistete. Denn in Washington hatte man kein Interesse daran, dass die proiranischen PMF womöglich noch gestärkt aus diesen Kämpfen hervorgehen würden.
Aber jetzt ist der IS wieder da, und die Terroristen kennen die Wüste und die Mentalität der Menschen in diesen Provinzen sehr gut. Sie wissen inzwischen auch von der Beendigung der Zusammenarbeit zwischen den US-amerikanischen und den irakischen Streitkräften und ihnen ist auch bewusst, dass irakische Drohnen und andere Aufklärungsmittel allein nicht ausreichen, um die Provinz al-Anbar mit technischen, nachrichtendienstlichen Mitteln hinreichend abzudecken, um Informationen über Bewegungen und Absichten des IS zu sammeln.
Tatsächlich hätten laut Magnier die USA "in einem perfekten Timing ihre militärische- und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit den irakischen Streitkräften eingestellt". Daher seien jetzt "die irakischen Streitkräfte von einer präventiven zu einer defensiven Haltung übergegangen. In vielen Provinzen sei nun der IS vom Gejagten wieder zum Jäger geworden.
Aufgrund der langsamen und ineffizienten Koordinierung zwischen den schiitischen Volksmobilisierungskräften (PMF) und dem Kommando der irakischen Luftwaffe fehlt den irakischen Bodentruppen bei den Kämpfen gegen die Terrormiliz die Luftunterstützung. Dadurch kann der IS auf dem Schlachtfeld länger Widerstand leisten und den PMF-Kämpfern höhere Verluste zufügen.
Derweil scheint in Bagdad das politische Chaos perfekt. Das Kalkül der US-Regierung scheint aufzugehen. Zwar fordert die schiitische Mehrheit den Rückzug der US-Streitkräfte, aber die starken Minderheiten der Sunniten und Kurden wollen, dass die US-Truppen im Land bleiben und die schiitischen "Volksmobilisierungskräfte" aus ihren Provinzen zurückgezogen werden. Schon einmal hatten die sunnitischen Stämme in al-Anbar sich lieber mit den sunnitischen IS-Extremisten zusammengetan und diese sogar gegen die vordrängenden schiitische Volksmobilisierungskräfte unterstützt.
Zugleich ist im Rahmen des Postenschachers im irakischen Parlament mit dem Geheimdienstchef Mustafa Al-Kadhimi ein Mann Washingtons zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden, allerdings nicht ohne Widerstand vor allem der stärksten schiitischen Fraktion, der Kata'ib Hezbollah, die dem Iran nahesteht und zugleich eine starke bewaffnete Formation als Teil der Volksmobilisierungskräfte kommandiert. Kata'ib Hezbollah hatte vor einem Monat eine scharfe Erklärung herausgegeben, in der Al-Kadhimi beschuldigt wird, Blut an seinen Händen zu haben und für den Tod ihres Anführers Abu Mahdi al-Muhandis und des iranischen Generals Qassem Soleimani mitverantwortlich zu sein. Zugleich wurde Al-Kadhimi als Ex-Geheimdienstchef vorgeworfen, mit den US-Amerikanern gegen die Schiiten zu kollaborieren.
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Aber noch immer sind nicht alle US-Pläne für den Irak in "trockenen Tüchern". Zwar sprach das irakische Parlament am 7. Mai einer Mehrheit von insgesamt 22 Kandidatenvorschlägen als Kabinettsminister unter Al-Kadhimi das Vertrauen aus, aber die Vorgeschlagenen für die Ministerämter für Handel, Kultur, Landwirtschaft, Migration und Justiz wurden nach heftigem Streit dennoch abgelehnt und die Vertrauensabstimmungen für die Positionen des Ölministers und des Außenministers wurden verschoben.
Die Einigung auf ein neues Kabinett kann noch lange dauern, denn ähnlich wie man das vom Libanon kennt, sind auch im Irak die Ministerposten gemäß einem fein justierten politischen Proporzes aufzuteilen: 11 für die Schiiten, 6 für die Sunniten, 4 für die Kurden und 2 für Christen und andere Minderheiten. Al-Kadhimi wird von den Schiiten vorgeworfen, die Kurden und Sunniten zu bevorzugen, denn deren Kandidatenvorschläge habe er angenommen, während er die Vorschläge der Schiiten zurückwies und selbst andere Kandidaten vorschlug, was von vielen schiitischen Gruppen als Provokation empfunden wurde, weil die für sie inakzeptabel waren.
All das deutet darauf hin, dass trotz der tiefen Krise des Irak Al-Kadhimi das Spiel der USA spielt, die gar nicht an einer stabilen und starken Regierung in Bagdad interessiert sind. Denn Stabilität im Land könnte nur durch einen Kompromiss mit der schiitischen Mehrheit erreicht werden, die den Verbleib der USA in ihrem Land ablehnt.
Neben den wirtschaftlichen und militärischen Problemen des Irak kommt nun auch noch die Corona-Krise hinzu, die irgendwie bewältigt werden muss. Zugleich belasten die Spannungen zwischen den USA und dem Iran auch das Nachbarland. Beide, die USA und der Iran führen ihre eigenen Kriege auf irakischem Boden, mit denen jede Seite die jeweils andere aus dem Irak vertreiben will. Es bedarf eines Wunders, damit der Irak in absehbarer Zeit wieder auf die Beine kommt, zumal sich auch die Schiiten untereinander in ihren politischen und wirtschaftlichen Interessen oft nicht einig sind, was gleichermaßen auch für die sunnitischen und kurdischen Minderheiten gilt.
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Zum Schluss sei hier nochmals an das Kernthema dieser drei aufeinander folgenden Artikel erinnert, nämlich die Strategie der USA, sich islamistischer Terrorgruppen zu bedienen, sie als "nützliche Feinde", das heißt als Werkzeuge für ihre geopolitischen Ziele einzusetzen, nicht nur im Irak und Syrien. Solange al-Qaida und der IS ihren Zweck noch nicht endgültig erfüllt hatten, wurden sie – je nach aktueller Lage – nur halbherzig oder sogar nur zum Schein bekämpft, während zugleich in weltpolitischen Stellungnahmen der Regierung in Washington und deren Journaille die verbale Empörung über die mittelalterlichen Grausamkeiten dieser Terroristen stets auf Hochtouren lief und weiterläuft.
Bei all den medialen Ablenkungsmanövern für die der Öffentlichkeit sollten wir den Kern dieser im Grunde kriminellen Allianz nicht aus den Augen verlieren:
- Mit Hilfe von al-Qaida hat die Regierung in Washington ihre Angriffskriege im Rahmen eines "Globalen Krieges gegen den Terror" nach außen gerechtfertigt, während sie nach innen die Bürgerrechte abbauen und die Vereinigten Staaten zu einem echten Polizei- und Überwachungsstaat umbauen konnte.
- Mit Hilfe des IS konnten die USA ihre Rückkehr in den Irak bewerkstelligen, und jetzt dient der IS dazu, einen erneuten Rausschmiss der USA aus dem Irak zu verhindern.
- Und nicht zuletzt: mit der Hilfe des IS hat man in Washington einen Vorwand konstruiert, eine völkerrechtwidrige militärische Intervention bis in die heutigen Tage zu rechtfertigen.
- Dieser "Wahnsinn" hat Methode.
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