Auf den ersten Blick erscheint die US-Außenpolitik chaotisch: Handelskrieg mit China, Sanktionen gegen Russland, Aufhebung der Meistbegünstigungsklausel für Indien. Doch in Wirklichkeit steckt hinter der auffallend aggressiven Politik kaltes Kalkül.
von Vlad Georgescu
Washington geht es bei dieser aggressiven Politik um die Dominanz über Patente und Rohstoffe weltweit. Ironie der Geschichte: Ausgerechnet US-Präsident Donald Trump könnte den technologischen Abstieg der USA besiegeln.
Wenn es um zukunftsträchtige Materialien geht, führt in der Welt der Wissenschaft kein Weg am Schweizer Fachjournal Applied Sciences vorbei. Was heute noch Grundlagenforschung ist, kann morgen eine bahnbrechende Anwendung darstellen. Entsprechend haben die Veröffentlichungen in Applied Sciences Gewicht. Vor allem große Wirtschaftsunternehmen und globale Think Tanks beobachten sehr akribisch, worüber das Online-Fachjournal aus Basel berichtet. Denn einen Durchbruch zu verschlafen hieße, die Dominanz über Schlüsseltechnologien zu verpassen – und genau das, so hat es den Anschein, geschieht derzeit in den USA auf breiter Front.
Tatsächlich ist eine am 28. Juni 2019 erschienene Publikation chinesischer Wissenschaftler in Applied Sciences mehr als nur trockene Materie für Insider. Am Beispiel des technischen Wunderstoffs Graphen, einer aus reinem Kohlenstoff bestehenden Verbindung, zeigten Forscher der chinesischen Southwest Jiaotong University in Chengdu auf, wer im biomedizinischen Bereich die meisten und effizientesten Patente rund um die erst 2004 entdeckte Substanz anmeldete.
Die nackten Zahlen belegen, dass in Sachen Graphen China den Westen weit übertrumpft. Allein im Jahr 2018 meldeten die Chinesen 216 Patente an, im weiten Abstand gefolgt von den US-Amerikanern (37 Patente) und einer danach folgenden innovativen Wüste. Deutschland rangierte Applied Sciences zufolge mit lediglich zwei Patentanmeldungen auf dem vorletzten Platz.
Doch ist Masse auch Klasse? Und führt jede Patentanmeldung auch wirklich zur technologisch nachhaltigen Dominanz?
Beispiel Graphen: China legt vor
Wer Antworten auf diese Fragen sucht, muss – am Beispiel Graphen bleibend – zunächst verstehen, warum neue Materialien oder Technologien überhaupt so wichtig sind. Die Substanz Graphen beispielsweise, deren Atome sich nicht von jenen eines Diamanten oder eines Klumpens Kohle unterscheiden, ist eine besondere Form von Kohlenstoff. 200 Mal härter als Stahl, extrem dünn auftragbar und vor allem elastisch, vermag Graphen physikalische Wunder zu bewirken.
So ließen sich mit Hilfe von Graphen eines Tages unter anderem LEDs ohne Kabelanschluss oder Batterie betreiben, Akkus mit enormen Laufzeiten herstellen oder Elektroautos allein durch das Fahren auf graphenbeschichteten Straßen aufladen. Im Gehirn des Menschen wiederum interagiert Graphen mit humanen Neuronen, ohne Nebenwirkungen aufzuweisen – die eine oder andere neurologische Erkrankung ließe sich auf diese Weise in Zukunft wohl behandeln. Für das Militär schließlich verspricht Graphen leichtere Fluggeräte, die im Unterschied zu Aluminium härter als Stahl sind. Nur selten in der Geschichte der Technik hat eine Neuentdeckung die Phantasie der Forscher so beflügelt wie Graphen.
Und so zeigt die Studie der Chinesen, dass neben der Masse der Patentanmeldungen allein im medizinischen Bereich vor allem die ökonomische Schlagkraft der Anmelder eine entscheidende Rolle spielt. Denn lediglich große Institutionen und Unternehmen sind in der Lage, ein Patent zum Erfolg zu führen und gegenüber der Konkurrenz nachhaltig am Markt zu verteidigen – und auch hier haben die Chinesen die Nase vorn.
Zwar warten die USA bei Patentanmeldungen mit Konzernen wie Lockheed Martin auf, der kommerzielle-militärischen Innovationsschmiede der Amerikaner. Auch die University of California, bislang weltweiter Innovationsmotor, ist bei Patentanmeldungen um Graphen vertreten.
Doch mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms namens Innography, das Forscher weltweit für die Auswertung der Patentanmeldungseffizienz nutzen, lässt sich die Schlagkraft einer Erfindung als Kreis visualisieren – und hier rangieren die Chinesische Akademie der Wissenschaften und chinesische Universitäten erneut deutlich vor den Amerikanern.
Im Kampf um die Patente der Zukunft geraten die USA seit geraumer Zeit derart massiv ins Hintertreffen, dass selbst die britische Financial Times, kein Sympathieträger chinesischer Hochtechnologie, sich dem sensiblen Thema zu nähern versuchte. Dass hinter Donald Trumps Handelskrieg in Wirklichkeit der Krieg um Patente stecken könnte, ist somit in London und Washington durchaus angekommen und demnach kein Tabuthema mehr.
Wie schlecht es um die ehemalige Vorherrschaft des Westens in Sachen Innovationen steht, hingegen schon. Nicht nur China, auch andere Länder auf der globalen Enemy-List der Amerikaner, streben innovationstechnisch betrachtet nach oben.
In einem von Bloomberg publiziertem Ranking, dem Patent Innovation Index, rangiert beispielsweise Iran mittlerweile auf Platz 13. Geht es um Investitionen in Schlüsseltechnologien, findet man Indien auf Platz drei, bei Patentanmeldungen liegt das Land auf den zehnten Platz, und in der Liste über die Zahl wissenschaftlichen Publikationen stehen die Inder auf Rang 6 – weltweit.
Als nicht minder innovativ erweist sich der Pool der Russischen Föderation. Eine vom Europäischen Patentamt EPO unlängst vorgestellte Suchmaschine des russischen Patentamtes Rospatent etwa erlaubt die kostenlose Suche im Fundus von über 2,5 Millionen Patenten aus der Zeit der Sowjetunion bis heute – wichtig sind solche Innovationskonglomerate schon deshalb, weil ohne sie viele neue Erfindungen gar nicht erst angemeldet werden könnten.
USA: Nicht mehr das Zentrum der Innovation
Und wenn es um die nackten Zahlen der Patentanmeldungen steht, verdeutlicht eine Grafik der Weltbank die desolate Lage der einstigen Innovations-Vorreiter USA: Seit nunmehr zehn Jahren liegen sie von China weit abgeschlagen nur noch im breiten Band des Mittelfeldes.
Der Satz "California über alles", in den frühen 1980ern als provokativer Titel der US-Punkband Dead Kennedys zu internationaler Berühmtheit gelangt, hat im Jahr 2019 nicht nur musikalisch ausgedient. Die innovative Vorherrschaft der Amerikaner, noch vor zwei Jahrzehnten durch das Leuchten kalifornischer Innovatoren symbolisiert, scheint beendet.
Ausgerechnet auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz und der Kommunikationstechniken wie 5G führen die Chinesen das Feld an – gestützt von einem de facto Liefermonopol auf Rohstoffen, die für den Bau der hochsensiblen Chips und Prozessoren lebensnotwendig sind: Seltene Erden. Zwar kommen die Metalle, ohne die kein Smartphone laufen würde, auch in den USA vor. Selbst Deutschland verfügt über derartige Vorkommen, denn anders als es der Name vermuten lässt, sind die Metalle der Seltenen Erden keinesfalls rar. Nur: Der Abbau ist extrem aufwendig und umweltschädigend zugleich – mitunter ein Grund, weswegen man die Belieferung der globalen Märkte bislang vorwiegend den Chinesen überließ.
Keine Rohstoffe für die Zukunfts-Technologien, kaum noch Ideen. Die Innovationskrise des Westens, angeführt von den Amerikanern, lässt sich nicht mehr verbergen.
Und so könnte Trumps globale Anti-Handelspolitik, die sich gleichzeitig gegen mehrere Nationen und die EU richtet, der verzweifelte Versuch sein, das Ruder doch noch in letzter Sekunde herumzureißen.
Denn die Eröffnung der globalen Handelsfront gegen Länder wie Indien, Russland, China und die gesamte EU, absorbiert gerade in staatlich gelenkten Giganten wie China Ressourcen, die ansonsten in die Innovationspipeline fließen würden. Sanktionen und Schwarze Listen im technologischen Bereich tangieren nämlich Patentanmeldungen per se – weil viele Patente auf bereits erteilte Patente im Ausland beruhen, ohne deren Anwendungserlaubnis das neu erschaffene Patent keinerlei Anwendungsperspektive haben kann. Der Handelskrieg verschafft den gebeutelten US Konzernen in Sachen Patentwettlauf eine Atempause, nur: Diese Strategie blockiert nicht nur den Erzrivalen China, auch die USA selbst werden auf diese Weise angreifbar.
Huawei: Die Patenschlacht ist eröffnet
Wie hart die Patentschlacht hinter dem Handelskrieg verläuft, zeigt das Beispiel Huawei. Von Donald Trump auf die Schwarze Liste der Amerikaner gesetzt, sah sich Huawei quasi über Nacht mit dem drohenden Verlust des Smartphone-Geschäfts und seiner G5-Technologie nicht nur in den USA konfrontiert: Huawei-Geräte, so die Annahme, würden wegen der Trump-Verbote Google-Dienste wie Android nicht mehr nutzen dürfen.
Der chinesische Tech-Gigant reagierte prompt und konterte mit der Patentkeule: Er machte beim US-Hersteller Verizon eine Milliarde US-Dollar an Lizenzgebühren geltend – Streitmasse sind rund 200 Patente, die die Chinesen für sich beanspruchen, und die Verizon Huawei zufolge unerlaubt genutzt haben soll.
Der Showdown basiert auf einem Abkommen, welches an sich das globale Miteinander fördern wollte – bevor Donald Trump kam. Weil beide Länder das sogenannte Trade-Related Aspects of Intellectual Property Agreement der Welthandelsorganisation WTO unterzeichneten, dürfen sie ihre Patente im jeweils anderen Land anmelden. Was ursprünglich als Diskriminierungssperre und als Öffnung der internationalen Zusammenarbeit gedacht war, lässt sich heute in Zeiten des Handelskriegs als scharfe Waffe einsetzen: Ein chinesisches Unternehmen etwa, das in den USA eine Patentzulassung erhielt, darf diese auch dazu nutzen, um amerikanische Konzerne über Lizenzgebühren und Klagen zu blockieren. Andersrum verhält es sich dem Abkommen zufolge genauso.
Doch der Teufel liegt für die Amerikaner im Detail. Weil die kalifornische IT-Innovationsschmiede längst ins Hintertreffen geraten ist, dominieren die Chinesen den Patentmarkt gerade im digitalen Bereich - und können nun über diesen Hebel Trumps Handelspolitik strategisch geschickt torpedieren.
Den Ausschluss von Huawei vom US Markt, wie von Trump vermutlich als Endziel erwünscht, wird es daher schon deshalb nicht geben, weil der Konzern über 56.000 Patente weltweit innehat – und im hochsensiblen Bereich der 5G-Technologie mehr Patente besitzt, als alle US Unternehmen und die EU zusammengenommen.
Nicht nur diese Zahlen sind beeindruckend, auch die Dynamik der chinesischen Innovationen spricht für sich. So wurden im Jahr 2017 weltweit insgesamt 608 Patente im Bereich der Künstlichen Intelligenz angemeldet, von denen 473 aus China stammen. Lediglich 65 kamen aus den USA. Ähnlich sieht es im Bereich Blockchain aus, wo ein Drittel aller Patente aus China stammen. Ausgerechnet jene Felder, auf denen sich einst Kalifornien mit seinem Silicon Valley als Innovationsgigant tummelte, sind heute fest in chinesischer Hand.
Für Donald Trump und seine Berater jedoch scheint das simple Prinzip jenseits des Verständlichen zu liegen: Das Patent sichert das nächste Patent sichert das nächste Patent. Anders ausgedrückt kann man auch sagen: Einmal abgehängt, immer abgehängt.
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Der Handelskrieg zwischen China und den USA erlebt zur Zeit keine neue heiße Phase. Daten zeigen aber, dass der Streit großen Schaden bei den gegenseitigen Direktinvestitionen angerichtet hat. Chinas Investitionen in die USA sind um fast 90 Prozent gesunken.
International
USA vs. China – Trumps Handelskrieg als Teil einer größeren Agenda gegen das Reich der Mitte
24.09.2018 • 08:05 Uhr
Der Flugzeugträger USS Ronald Reagan (CVN 76) mit Begleitschiffen am 31. August 2018 im Südchinesischen Meer, in dem sich das Konfliktpotenzial zwischen den USA und China auch militärisch zeigt.
Zölle und Gegenzölle – die Eskalationschraube im Handelsstreit zwischen den USA und China dreht sich weiter. Das wachsende internationale Gewicht Chinas bedroht die Position der Weltmacht Nummer 1 USA. Das Konfliktpotenzial geht über einen Handelskrieg hinaus.
Im Juli 2018 hat US-Präsident Donald Trump Zölle auf chinesische Produkte in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar erlassen. Diese Woche drehte Trump die Zollschraube weiter auf zusätzliche 200 Milliarden US-Dollar an Zöllen gegen Waren aus China. Die chinesische Regierung antwortete mit Gegenzöllen im Umfang von 60 Milliarden US-Dollar. Trump wiederum hatte für den Fall chinesischer Gegenmaßnahmen angekündigt, eine erneute Steigerung der Zölle um zusätzliche 267 Milliarden US-Dollar vorzubereiten. Die USA sind damit auf dem Weg in einen veritablen Handelskrieg gegen China, mit weltweiten Auswirkungen. So betrifft ein solcher Handelskrieg infolge der extremen Verflechtungen transnationaler Lieferketten insbesondere Deutschland als "Exportweltmeister" (genauer Exportüberschussweltmeister). Durch die starke Präsenz der deutschen Exportindustrie sowohl in den USA als auch in China droht Deutschland – wie auch die EU insgesamt – zwischen die Fronten dieses Handelskonfliktes zu geraten.
Donald Trump rechtfertigt diese Maßnahmen als nötigen Schritt gegen unfaire Praktiken Chinas, denn diese bedeuteten
eine ernsthafte Bedrohung für die langfristige Gesundheit und den Wohlstand der Wirtschaft der Vereinigten Staaten.
(a grave threat to the long-term health and prosperity of the United States economy.)
Doch bei diesen Maßnahmen geht es letztlich nicht um Handel und Wirtschaft, sondern um die "totale Kapitulation" Chinas, so die Einschätzung von Experten wie dem ehemaligen Leiter der China-Abteilung beim Internationalen Währungsfond (IWF) Eswar Prasad gegenüber der Washington Post:
Es ist schwierig zu sehen, was die Vision der Regierung von einem Endspiel anderes bedeuten könnte als die totale Kapitulation Chinas vor allen Forderungen der USA.
(It is difficult to see what the administration’s vision of an end game might be other than total capitulation by China to all U.S. demands.)
Die Vereinigten Staaten gehen damit direkt gegen China und seinen Aufstieg zu einer globalen Großmacht vor. Hinter dem derzeitigen Handelskrieg steht gleichwohl die gesamte militärische Macht der USA. Das heißt, der derzeitige Handelskrieg Washingtons gegen Peking kann durchaus der Vorlauf für einen militärischen Konflikt, einen echten Krieg zwischen beiden Mächten sein. Der langjährige Auslandskorrespondent von La Vanguardia, Rafael Poch, beleuchtet auf CTXT aktuell die Hintergründe des heraufziehenden Konflikts und benennt als zentralen Punkt:
Mit der sogenannten 'Neuen Seidenstraße' (One Belt one Road) gewinnt die chinesische Politik in jeder Hinsicht an Gewicht und Prestige in der Welt.
Nicht zuletzt die Ausfälle und Unberechenbarkeit des US-Präsidenten bewirkten, dass sein chinesischer Gegenpart Xi Jinping in der Rolle eines ernsthaften und verlässlichen Staatsmanns von Weltrang erscheint. Verstärkt wird dieser Effekt noch durch die US-amerikanische "Diplomatie" eines "entweder Du bist für uns oder gegen uns".
Dagegen ist die 'Neue Seidenstraße' als einzigartiges Projekt offen, integrierend und universalistisch und beruht insofern nicht auf der derzeitigen Logik des Rechts des Stärkeren,
schreibt Poch und schildert weiter, was das genau bedeutet. Demzufolge sei die "Neue Seidenstraße" für die Volksrepublik China die dritte große Entwicklungsphase seit ihrer Gründung. Auf dem Fundament der Revolution Mao Zedongs folgte als zweite Phase die wirtschaftliche Modernisierung unter Deng Xiaoping und seinen Nachfolgern. Dabei galt in internationalen Angelegenheiten Zurückhaltung, um sich voll und ganz auf die innere Entwicklung und Stabilisierung während dieser schwierigen Etappe zu konzentrieren. Mit Xi Jinping trete China in die dritte große Phase ein, in der es darum gehe, die Rolle Chinas in der Welt zu definieren und zu bestätigen. Der kontinuierliche Aufstieg Chinas sei nunmehr begleitet von direkter Einmischung des Landes in internationale Angelegenheiten, und zwar über die bloße Absicherung und Garantie der Versorgung und Auslastung seiner Produktionskapazitäten hinaus.
Aus der Sicht der Beziehungen zwischen den Großmächten hat China mit dieser dritten Phase den ersten Schritt in Richtung der Übernahme einer Rolle als Supermacht eingeleitet. Die Imperative dieses 'chinesischen Aufstiegs', der bis vor kurzem Diskretion erforderte, erfordern nun eine stärkere Intervention in der Welt", so Poch.
Zwei verschiedene Modelle für die Gestaltung der Zukunft
Bei der im September 2013 gestarteten "Neuen Seidenstraße" handele es sich um ein Großprojekt zur wirtschaftlichen Integration Asiens, Afrikas und Europas über gigantische Investitionen in entsprechende Infrastrukturen: Energie- und Kommunikationsnetze, Transportkapazitäten über Land- und Seewege, finanzielle Integration – all dies ausgerichtet auf Ausbau, Wachstum und Sicherung der globalen Wirtschaft (im Rahmen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, SOZ, wird diese Integration sogar noch durch eine sicherheitspolitische Komponente ergänzt). Mit einer mittelfristigen Perspektive für die kommenden drei Jahrzehnte umfasse dieses Projekt rund 70 Länder – von denen viele vor allem mit den chinesischen Investitionen kalkulieren – und damit etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung, 55 Prozent des weltweiten Bruttoinlandproduktes und 75 Prozent der bekannten globalen Energievorräte. Poch beschreibt als grundlegende Prinzipien dieser Initiative die Offenheit für alle Länder, den integrierenden Charakter basierend auf dem Respekt der jeweiligen Besonderheiten und Entwicklungsmöglichkeiten jedes einzelnen Landes sowie die Regeln eines gemeinsamen Marktes. Dementsprechend seien auch die Folgen globale, und drastische:
Das implizite Ergebnis dieser Initiative ist die Schaffung eines neuen geopolitischen Paradigmas. In Washington betrachten sie es als eine echte Herausforderung für die Vereinigten Staaten und ihre dominierende Rolle in Eurasien und in der Weltwirtschaft. Und sie sind nicht bereit, dies zuzulassen. Wenn das alles funktioniert, kann Chinas Aufstieg nur durch Krieg gestoppt werden.
Was augenblicklich als Handelskrieg beginnt, berge demnach Potenzial für einen weit größeren Konflikt. Die militärische Dynamik dessen zeigt sich bereits sehr konkret im sogenannten "pivot to Asia" (der Orientierung großer Teile der militärischen Kapazitäten der USA gen China) und den Spannungen im geostrategisch bedeutenden Südchinesischen Meer. Die Reaktion Xi Jinpings sei genau darauf ausgerichtet: auf eine turbulente Phase mit militärischen Spannungen oder schlimmstenfalls offenen kriegerischen Konflikten, wofür sich die chinesische Führung mit der Schaffung eines Sicherheitsgürtels wappne.
China suche allerdings keine offene Herausforderung der weltweiten militärischen US-Dominanz. Dies würde China überfordern, es wäre schlichtweg irreal und extrem gefährlich. Vielmehr gehe es darum, Zweifel unter den US-Militärs zu säen, inwieweit die USA aus einer regionalen militärischen Auseinandersetzung im Südchinesischen Meer, auf das sich der "pivot to Asia" vor allem richtet, tatsächlich als Sieger hervorgehen würden. Demnach konzentriere sich die chinesische Marinestrategie darauf, die Allianzen der Vereinigten Staaten in Ostasien und im Westpazifik zu schwächen. Statt auf eine Logik aus den Zeiten des Kalten Krieges vertraue China dabei auf sein gewachsenes wirtschaftliches Gewicht in der Region, das mittlerweile größer ist als das der USA. Gleichzeitig baue China sein militärisches Potenzial, insbesondere das der Luftwaffe und Marine, aus. Poch beruft sich in seiner Einschätzung auch auf den Premierminister Australiens Kevin Rudd, der als einer der wenigen westlichen Führer die chinesische Sprache versteht. Rudd zufolge hat Xi Jinping die Struktur und die Doktrin des chinesischen Militärs radikal verändert, mit dem konkreten Ziel,
Zweifel an der Fähigkeit der USA [zu säen], einen militärischen Konflikt mit China in der Region um die umstrittenen Inseln zu gewinnen und Taiwan zu verteidigen.
Sehr bald schon, resümiert Poch, könne China die regionale (nicht die globale) militärische Dominanz der Vereinigten Staaten herausfordern. Die ersten Salven eines solchen Krieges bestünden aus "wirtschaftlicher" Munition, doch man solle sich nicht täuschen:
Dieser Krieg hat nichts mit Handel zu tun, sondern mit zwei Modellen für die Gestaltung der Zukunft.
China droht USA: Hebt Sanktionen gegen Militär auf oder tragt die Konsequenzen
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Europa
Politische Zeitenwende in der Ukraine? Erdrutschsieg für Partei von Präsident Selenskij
22.07.2019 • 12:55 Uhr
Das ukrainische Staatsoberhaupt Wladimir Selenskij nach der ersten Bekanntgabe der Ergebnisse der Parlamentswahlen im Stab seiner Partei Diener des Volkes
Fünf politische Kräfte ziehen ins ukrainische Parlament ein. Präsident Wladimir Selenskij könnte nun endlich mit einer eigenen Machtbasis im Parlament regieren. Doch seine Partei "Diener des Volkes" ist alles andere als sein verlängerter Arm.
Nach Auswertung von 52,7 Prozent der Stimmzettel liegt die Partei "Diener des Volkes" am Montagmorgen bei 42,5 Prozent. Damit blieb die Partei 1,5 Punkte unter den am Sonntagabend prognostizierten 44 Prozent der Stimmen.
Zweitstärkste Kraft wurde demnach die russlandfreundliche Oppositionsplattform "Für das Leben" mit 12,9 Prozent der Stimmen. Parteichef Juri Boiko sagte, dass die Abstimmung die krisengeschüttelte Ukraine wieder auf einen friedlichen und normalen Weg zurückbringe. An dritter Stelle landete die Partei "Europäische Solidarität" von Ex-Präsident Petro Poroschenko mit 8,6 Prozent.
Eine Koalition der Showmaster?
Am Wahlabend sagte Selenskij auch, dass er mit der nationalliberalen Partei "Golos" (zu Deutsch: Stimme) des Rockmusikers Swjatoslaw Wakartschuk Koalitionsverhandlungen aufnehmen wolle. In der Partei Wakartschuks sind etliche Vertreter der Zivilgesellschaft, darunter auch prominente Anti-Korruptions-Kämpfer. Die Partei erhielt den Prognosen zufolge 6,5 Prozent der Stimmen, nach der letzten Zählung 6,4 Prozent.
Auch die Vaterlandspartei der früheren Regierungschefin Julia Timoschenko bot sich an für eine Mitarbeit in der Regierung. Sie kam auf 8 Prozent der Stimmen. Allerdings hatte Selenskij stets klargemacht, dass er in erster Linie mit politisch neuen Gesichtern zusammenarbeiten möchte.
Nach der Vielzahl gewonnener Direktmandate könnte Diener des Volkes auch ohne Koalitionspartner regieren. Selenskij komme derzeit auf mehr als die dafür erforderlichen 240 Sitze. Möglich werde dies durch die Vielzahl gewonnener Direktmandate, teilte Selenskijs Partei am Montag mit.
Der neugewählte Präsident erreichte mit der vorgezogenen Parlamentswahl sein Ziel, sich mit seiner neuen Partei eine eigene Machtbasis zu schaffen. Er kündigte an, einen "Wirtschafts-Guru" mit politisch reiner Weste zum Regierungschef zu machen. Einen Namen nannte er bisher aber nicht.
Ursprünglich sollte die Parlamentswahl erst im Oktober stattfinden. Präsident Selenskij hatte sie vorgezogen, weil es in der Ex-Sowjetrepublik keine handlungsfähige Koalition mehr gab. Zudem hatte Selenskij selbst auch keinen Vertreter im Parlament. Seine Partei Diener des Volkes (Sluga narodu) ist nach einer ukrainischen Polit-Comedy-Serie benannt. Dort hatte der Komiker Selenskij jahrelang einen Präsidenten gespielt, der gegen die korrupte Machtelite kämpft. Nun will er mit einer eigenen Mehrheit im Parlament ernst machen.
Dieser Erfolg ist in der kurzen ukrainischen Parlamentsgeschichte bislang beispiellos. Nach Meinung von Beobachtern wurde damit auch eine ganze Abgeordneten-Generation abgewählt, die in den vergangenen 20 Jahren das politische Geschehen mitbestimmte. So scheiterte etwa die Partei des Regierungschefs Wladimir Groisman samt vier Ministern an der Fünf-Prozent-Hürde.
Nach derzeitigem Stand schafften fünf Parteien den Sprung über jene Hürde, wobei die Wahlbeteiligung mit rund 50 Prozent deutlich niedriger ausfiel als bei der Parlamentswahl vor fünf Jahren. Bei der Präsidentschaftswahl lag sie bei 64 Prozent.
Russland: Politische Kindheit für Selenskij ist beendet
Erste Reaktionen aus Russland waren zunächst verhalten. Selenskij müsse noch politische Reife zeigen, schrieb der Außenpolitiker Konstantin Kossatschow auf Facebook.
Die politische Kindheit und Jugend für Präsident Selenskij ist somit beendet. Jetzt kommt die Zeit der echten Verantwortung", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im russischen Oberhaus.
Der Außenpolitiker Leonid Kalaschnikow wertete den Erfolg der prorussischen Oppositionsplattform als positives Zeichen, dass sie sich für eine Verbesserung der Beziehungen zu Moskau einsetzen werden.
Sie ist jetzt eine echte politische Kraft, mit der man heute rechnen muss, sagte er.
Nach Bekanntgabe der ersten Wahlergebnisse hat Selenskij sein Ziel einer Beendigung des Krieges im Osten des Landes bekräftigt. Vorrangige Aufgaben seien zudem, die ukrainischen Gefangenen aus Russland zurückzuholen sowie der Sieg über die Korruption, sagte er. Zu den Gefangenen zählt er vor allem die ukrainischen Seeleute, die wegen der Grenzverletzung in der Straße von Kertsch im November 2018 in Russland festgehalten werden.
Ob es jedoch tatsächlich zum Frieden kommt, ist fraglich. Nach Selenskijs Auffassung dürfte es für derzeit abtrünnige Gebiete keinen angestrebten Sonderstatus im ukrainischen Staatsgebiet geben. Nach seinem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen ist es infolge der verstärkten Beschüsse vonseiten der ukrainischen Streitkräfte bereits zum Tod mehrerer Frauen gekommen. Außerdem sucht Selenskij die Nähe zu den Angehörigen der nationalistischen Freiwilligenbatallione und würdigt die Teilnehmer des Krieges als Helden und Vaterlandsverteidiger.
Poroschenko geht in die nationalistische Opposition
Die ultranationalisitschen Parteien haben zwar den Einzug ins Parlament verfehlt. Doch ihrer Ideologie steht vor allem der Ex-Präsident Petro Poroschenko mit seiner Partei "Europäische Solidarität" nahe. Er hat seinen Wahlkampf fast ausschließlich in den westukrainischen Regionen geführt. In seiner Partei haben sich vor allem Vertreter der alten Regierung versammelt, die um ihre Positionen bangen.
Nach Einschätzung des Experten des russischen Präsidentschaftsrates für interethnische Beziehungen, Bogdan Bespalko, wird nicht die Oppositionsplattform, sondern Poroschenko zum Hauptoppositionellen im Parlament werden. Seine Kritik wird vor allem die Beziehungen zu Russland betreffen. Jeder Schritt des Staatsoberhaupts werde als Verrat gelten, so der Politologe. Die Wähler der Europäischen Solidarität seien in der ukrainischen Bevölkerung in einer Minderheit, jedoch sehr entschlossen und agieren aggressiv, sagte Bespalko.
Trotz Erfolg: Zweifel an der künftigen Einheit der Sieger-Partei
Nach Meinung anderer russischer Experten hat Wladimir Selenskij noch von seinem fulminanten Sieg bei den Präsidentschaftswahlen profitiert. "Die "Flitterwochen" mit den Wählern dauern noch an, sagte der Professor der Moskauer School of Economics, Oleg Matwejtchew, gegenüber RT. Immer noch verbünden die Menschen mit seinem Namen Hoffnungen auf Veränderungen.
Mit dem Wahlergebnis wurde aber auch der Grundstein für den zukünftigen Konflikt in der Partei gelegt, glauben Experten.
Die Partei Diener des Volkes ist sehr vielfältig, mit vielen Einflusszentren. Ich denke, in sechs Monaten wird es einen harten Konflikt geben. Das vorherige Parlament arbeitete dank der sogenannten 'Verabredungen'. Selenskij lehnt ein solches System ab, hat aber keine Alternative angeboten. Deshalb werde ich nicht überrascht sein, wenn die Rada vorzeitig aufgelöst werden müsste", erklärte ein Gesprächspartner der Vaterlandspartei gegenüber RT.
Einige Vertreter der Diener des Volkes sprechen auch von ihrer mangelnden Bereitschaft, gehorsame Vollstrecker des Präsidentenwillens zu sein.
Wenn Selenskij glaubt, dass er die Bedingungen für uns diktieren und verlangen kann, dass wir für die Ernennung skandalumwogene Persönlichkeiten in hohe Ämter hieven, irrt er sich. Nachdem das neue Parlament gebildet ist, werden die Abgeordneten darauf bestehen, Andrej Bogdan vom Posten des Leiters des Präsidentenamtes zu entlassen", sagten Parteimitglieder gegenüber RT.
Der 42-jährige Jurist Andrej Bogdan hat nach dem Euromaidan eng mit dem umstrittenen Milliardär Igor Kolomojski zusammengearbeitet und war sein Anwalt und Berater. Kurz vor seiner Amtseinführung am 21. Mai hat Wladimir Selenskij Bogdan zum Chef des Präsidialamtes ernannt.
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