Die seit einer Woche sich abspielenden Ereignisse in Kasachstan sind der fünfte Teil eines Plans der RAND Corporation, von denen der sechste in Transnistrien stattfinden wird. Die vorherigen vier Episoden fanden in den letzten zwei Jahren in der Ukraine, in Syrien, in Weißrussland und in Berg-Karabach statt. Es geht darum, Russland zu schwächen, indem man es zu einem überzogenen Truppenaufmarsch zwingt.
Russland macht ernst – und führt nach Punkten
von Rüdiger Rauls
Aus den Äußerungen maßgeblicher westlicher Politiker und Meinungsmacher geht hervor, dass man weiterhin glaubt, nach der alten Manier der Diplomatie und endlosen Verhandlungsrunden die Russen hinhalten oder gar täuschen zu können.
Diese Haltung des Westens fasst die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrem Beitrag "Putins Puffer" vom 13.Januar 2022 treffend in die Worte:
"Mit Abschreckung und gleichzeitiger Dialogbereitschaft ist der Westen schon früher gut gefahren."
Das bedeutete aber in der Wirklichkeit: "Wir tun so, als ob wir es ernst meinen, aber hinter eurem Rücken schaffen wir Tatsachen, die die Kräfteverhältnisse verändern". Und nun glaubt man, dieses Spiel immer noch weiter so treiben zu können.
Trotz der Auflösung des Warschauer Vertrages hatte sich die NATO immer weiter an die Westgrenze Russlands herangeschoben. Trotz der offiziellen Beendigung des Kalten Krieges im Jahre 1997 wurden nur zwei Jahre später Polen, Ungarn und Tschechien als neue NATO-Mitglieder aufgenommen. Bald darauf folgten die baltischen Staaten. Und mit der Ukraine und Georgien wollte man die Schlinge um Russland noch enger ziehen.
Wenn Russland dann aber Maßnahmen ergreift, diesem Treiben Einhalt zu gebieten, indem es auf eigenem Territorium Truppen an seiner bedrohten Westgrenze zusammenzieht, dann ist das Geschrei groß. Dann wird die Bevölkerung im Westen in Panik versetzt – mit der Behauptung, Putin wolle in der Ukraine einmarschieren. Vor der Jahreswende waren die Zeitungen und Medien voll mit diesen aus den Fingern gesogenen Unterstellungen.
Obwohl Putin immer wieder solche Pläne abgestritten hatte, schien der Dritte Weltkrieg nach westlicher Sicht unmittelbar bevorzustehen. Heute melden dieselben Medien, dass mit einem Einmarsch nun doch nicht zu rechnen sei. Man verhandelt miteinander, und das soll die Menschen beruhigen. Zudem erklären die hochrangigen Vertreter in Brüssel und Washington, dass man wegen der Ukraine keinen Krieg mit Russland führen wird. Wie denn auch?
Die militärischen Abenteuer in Afghanistan und der islamischen Welt haben die Schwäche des Westens offenbart. Wer nicht einmal eine Motorradarmee in Afghanistan besiegen kann, wie will der es mit einem gleichwertigen Gegner wie der russischen Armee aufnehmen? Es scheint den Herrschaften in Brüssel und Washington allmählich bewusst zu werden, dass ihr militärischer Stern sinkt. Aber man will es nicht so recht wahrhaben und glaubt in der trügerischen Vorstellung alter Stärke, mit der Androhung wirtschaftlicher Sanktionen Russland beeindrucken zu können.
Aber das schreckt Russland nicht mehr. Man hat sich vorbereitet und vorgesorgt. Auch das diplomatische Geplänkel kommt bei den Russen nicht mehr an. Sie wollen klare Ergebnisse und Zusicherungen nach all den gebrochenen Zusagen und nicht eingehaltenen Versprechen. Die Russen spielen nicht mehr mit. Sie machen ernst. Vor zwei Jahren hatte man sich wegen Ergebnislosigkeit aus dem NATO-Russland-Rat verabschiedet. Worüber soll man verhandeln, wenn die Ernsthaftigkeit des Verhandlungspartners fehlt? Was nützen Vereinbarungen, wenn die Gegenseite sich nicht daran hält? Was bringen Angebote, wenn diese nur missbraucht werden, um weitergehende Forderungen zu stellen?
Nun spielen die Russen ein neues Spiel mit neuen Regeln. Entgegen dem üblichen diplomatischen Verfahren hat man Forderungen aufgestellt und diese auch zugleich der Weltöffentlichkeit mitgeteilt. Es wird nicht mehr getuschelt in den Hinterzimmern. Die Welt soll erfahren, was Russland will und was es dafür an Sicherheitsgarantien anbietet. Das war der erste Schritt, mit dem der Westen nicht gerechnet hatte. Dementsprechend groß war die Aufregung unter den westlichen Meinungsmachern und Politikern.
Aber es war nur der erste Schritt. Der nächste bestand im Ausschluss der NATO und der EU-Europäer aus den Verhandlungen. Russland verhandelt mit den USA. Man redet nicht mit dem Hänschen, wenn es Hans ist, der die Entscheidungen trifft. Denn Russland weiß: Die NATO macht, was die Amerikaner wollen, und die Europäische Union nickt dazu oder sie könnte sich einen anderen atomaren Beschützer suchen.
Nun jammern diese Europäer, dass sie bei den Verhandlungen, in denen es um ihre eigene Sicherheit geht, nur am Katzentisch sitzen dürfen. Aber sie sind auch nicht in der Lage, sich auf eine Politik zu einigen, die die Sicherheitsinteressen Russlands ernst nimmt und damit auch die Vertretung der eigenen Interessen in die eigene Hand nimmt – unabhängig von den USA. Ein entsprechender Vorschlag Macrons wurde als Ausscheren aus dem NATO-Konsens abgetan. NATO-Generalsekretär Stoltenberg beließ es lieber bei dem alten Spiel, von Russland Vorleistungen zu verlangen. Der entscheidende Schritt im neuen Spiel aber wurde deutlich nach dem Telefonat, das Putin und Biden zum Jahreswechsel geführt hatten. Es war kein freundliches und schon gar kein erfreuliches für den US-Amerikaner. Denn Putin hatte ihm unmissverständlich klar gemacht, dass zu Beginn des Jahres 2022 die russische Marine mit den neuen Überschallwaffen ausgestattet wird, die kurze Zeit zuvor erfolgreich auf See getestet worden waren.
Er hat Biden deutlich gemacht, dass die Anflugzeit dieser neuen Raketen von See auf die USA genau so kurz sein wird wie die derjenigen, die die USA in der Ukraine aufzustellen im Sinn haben. "Die Flugzeit für diejenigen, die den Befehl geben, beträgt ebenfalls fünf Minuten." Damit hat Putin die USA gemeint, und offensichtlich hat diese Aussicht bei Biden Wirkung gezeigt. Denn bei den Verhandlungen zwischen den Amerikanern und den Russen in Genf "könnte es insbesondere um eine Begrenzung der Stationierung von US-Raketen in Europa gehen, die eine Bedrohung für Russland darstellen könnten."
Die Stationierung eigener Raketen in der Ukraine scheint den Amerikanern zu heikel zu werden, wenn dafür ihr eigenes Territorium vergleichbar bedroht ist, nicht mehr nur Europa wie bisher. Aber die Russen scheinen sich nicht mehr nur darauf zu beschränken, die NATO und die Amerikaner von den eigenen Grenzen fern zu halten.
Diese defensive Strategie, die Russland und früher die Sowjetunion vertreten haben, ist erweitert worden um eine offensive Komponente, die Bedrohung der USA vor der eigenen Haustür. Waren die Sowjets von 60 Jahren noch gezwungen, im Interesse des Weltfriedens ihr Bedrohungspotential von Kuba abzuziehen, so ist heute das russische "Kuba" überall dort, wo russische Schiffe sich den amerikanischen Küsten nähern können.
Anscheinend hat das Telefonat Putins mit Biden diesem die Augen geöffnet über diese veränderte Weltlage. Es ist vorbei mit der komfortablen Lage Amerikas, Tausende Kilometer entfernt von den russischen Interkontinentalraketen. Es ist vorbei mit den unterschiedlichen Vorwarnzeiten für die USA, für Russland und für die europäischen Hauptstädte. Für Washington betragen sie nun genauso gut nur noch fünf Minuten von den russischen Schiffen wie die der in Europa stationierten Raketen bis zum Einschlag in Moskau.
Die russischen Raketen sind mittlerweile genauso nahe an Washington, D.C. herangerückt wie die amerikanischen Raketen in Europa an Russland. Das ist die veränderte Weltlage und damit scheint sich Washington erst einmal vertraut machen zu müssen. Diese veränderte Lage drückt sich nicht nur in den Veränderungen durch die überlegene russische Waffentechnik aus. Sie drückt sich auch darin aus, dass Russland diesen Vorteil unbeirrbar zu nutzen gewillt ist.
Es gibt kein Taktieren mehr, um Ergebnisse zu verschleppen. Es gibt kein Verhandeln mehr, das nicht ernst gemeint ist. Russland hat klar zum Ausdruck gebracht, dass es nach den Gesprächsrunden mit den USA und der NATO Ergebnisse für die eigene Sicherheit haben will. Anderenfalls wird man entscheiden, ob es weitere Gespräche überhaupt noch geben wird.
Und es gibt noch eine weitere Ansage Putins, die über die Verweigerung weiterer Gespräche hinausgeht und nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte: Alles weitere wird dann "von den Vorschlägen abhängen, die mir unsere Militärexperten unterbreiten werden."(Der FAZ-Kommentar vom 27.12.2021 darauf: "Putin droht dem Westen")
Was das im Einzelnen bedeutet, darüber kann im Moment nur spekuliert werden, aber es hört sich besonnen, selbstbewusst und auch entschlossen an. Die USA und die NATO werden es dann wohl bald erfahren, was gemeint ist, sollten sie die Vorschläge Russlands nicht ernst nehmen. Aber schon vor dem Abschluss der Verhandlungsrunde in der zweiten Januarwoche haben die Russen am 14. Januar 2022 bekannt gegeben, dass sie sich die Stationierung russischer Truppen in Venezuela und auf Kuba vorbehalten, und damit klar gemacht, wie ernst sie es meinen.
Damit hatten die USA wohl nicht gerechnet, als die Russen drohten, ebenfalls neue Raketen aufzustellen, wenn die NATO welche in der Ukraine stationiert. Diese Drohung bezog sich vielleicht gar nicht auf die Grenze der Ukraine, sondern auf die Grenzen der USA, auf ihrem eigenen Kontinent. Es wird sich zeigen, ob die US-Amerikaner nun auch bereit sind über Truppenstationierungen zu verhandeln, so wie sie plötzlich bereit waren, über die Aufstellung von Raketen in der Ukraine zu sprechen, als sie merkten, dass es ihnen ans eigene Hemd geht.
Das Verhalten Russlands ist für den Westen unberechenbarer geworden. Die Russen verhalten sich anders, als der Westen es nach den alten Spielregeln, nach seinen Spielregeln gewohnt war. Es ist ein neues Spiel, und die Russen führen nach Punkten.
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